Wirtschaftsminister kritisiert geringe Anreize für den Zuzug ausländischer Fachkräfte. CSU warnt vor ungebremster Zuwanderung

Hamburg. Knapp zwei Monate nach Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger in Deutschland droht der schwarz-gelben Regierungskoalition ein Streit über die Zuwanderungspolitik. Während sich Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) im Abendblatt für einen erleichterten Zuzug von Fachkräften ausspricht, warnt die CSU vor solchen Erleichterungen und fordert ein stärkeres Engagement der Wirtschaft im Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Rösler zog eine ernüchternde Zwischenbilanz der seit Mai in Deutschland geltenden neuen Freizügigkeitsregelung, mit der mehrere Beschränkungen für Arbeitnehmer aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien weggefallen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit habe für Deutschland bislang kaum Wirkung gezeigt, sagte Rösler dem Abendblatt. "Der Grund ist, dass wir die Grenzen zu spät geöffnet haben. Viele hoch qualifizierte Fachkräfte haben längst einen weiten Bogen um Deutschland gemacht", sagte der Minister.

Der FDP-Parteichef sagte, Deutschland fehlten allein im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich 140 000 Fachkräfte. Es sei möglich, dass deutsche Unternehmen ihre Standorte ins europäische Ausland verlegen, weil sie in Deutschland keine Fachkräfte mehr gewinnen. Deswegen gehöre die Fachkräftesicherung ganz oben auf die politische Agenda. Rösler sagte, aufgrund des Fachkräftemangelssei es notwendig gewesen, auf die Vorrangprüfung in manchen Mangelberufen zu verzichten. "Was wir im Kabinett beschlossen haben, kann aber nur der Anfang sein. Weitere Schritte müssen folgen", forderte Rösler.

Entscheidend für die Liberalen ist Rösler zufolge, dass die Gehaltsgrenze für Zuwanderer gesenkt wird. Derzeit müssen Hochqualifizierte von außerhalb der EU einen Mindestverdienst von 66 000 Euro im Jahr vorweisen, um eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. 2009 seien aber nur 169 Fachkräfte nach Deutschland gekommen, kritisierte Rösler. "Das zeigt: Der Wert ist zu hoch. Ich halte deshalb eine Gehaltsuntergrenze von 40 000 Euro für angemessen."

Das sieht der Koalitionspartner CSU allerdings anders. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sagte dem Abendblatt: "Wenn wir die Einkommensgrenze senken, senden wir ein falsches Signal zulasten der deutschen Beschäftigten." Auch sehe sie keinen Bedarf, die Vorrangprüfungen für weitere Branchen auszusetzen. Es sei international bekannt, dass Deutschlands Sozialsysteme attraktiv und vorbildlich seien. "Uns könnte eine ungesteuerte Zuwanderung in unsere Sozialsysteme drohen", warnte Hasselfeldt. Es gebe viele Möglichkeiten, um zuerst die Potenziale im Inland auszuschöpfen. "Die Wirtschaft hat Nachholbedarf, wenn es gerade für Frauen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht." Die Unternehmen sollten ihren Angestellten auch noch mehr Qualifizierungsmaßnahmen anbieten, schlug Hasselfeldt vor.