Polen und Deutschland beschließen vom Schutz der Wölfe bis zum Beamtenaustausch ehrgeizige Agenda

Warschau. "Eine sehr romantische Frage." Polens Premier Donald Tusk lächelt verschmitzt, als ein Journalist wissen will, wann eigentlich diese wetterfeste persönliche Partnerschaft mit Angela Merkel entstanden sei. Er blickt zur Kanzlerin, diese lässt ihm den Vortritt, dann antwortet er. Tusk erinnert an eine Begegnung, als beide noch nicht im Amt waren. "Wir trafen uns in Warschau und knieten beide vor dem Denkmal für die Warschauer Aufständischen. Dazu bedurfte es keiner Verhandlungen. Niemand musste die andere Seite überzeugen. Und wir beide waren wirklich ergriffen." Tusk erwähnt auch, dass seine und Merkels Mutter vor dem Krieg in Zoppot an der Ostsee geboren wurden. Merkel nickt stumm.

Gestern waren die Bundeskanzlerin, zehn Minister und mehrere Staatssekretäre zu den seit 1997 jährlich abgehaltenen Regierungskonsultationen in Polen. Berlin und Warschau verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung und ein 23 Seiten umfassendes "Programm der Zusammenarbeit" mit 92 Projekten. Wer es liest, kann zu dem Schluss kommen: Es gibt derzeit keine Nachbarschaft zwischen zwei großen Staaten in der EU, die sich so dynamisch entwickelt wie diese. So viel Harmonie war noch nie.

Über Details gibt das erwähnte "Programm" Auskunft. Es bekräftigt die so gut wie beschlossenen Maßnahmen zugunsten der Polen in Deutschland und der Deutschen in Polen: Sprachunterricht, Gedenkstätten, Kulturarbeit. Neu ist, dass "Beauftragte für nationale und ethnische Minderheiten" in Polens Bezirken, "in denen dies noch nicht geschehen ist", ernannt werden sollen. Sie würden sich "auch" mit der kleinen deutschen Minderheit befassen. Künftig wollen die Kanzleien der Regierungschefs und die Ressortministerien Beamte austauschen. Die Einrichtung gemeinsamer Botschaften in bestimmten Ländern wird erwogen. Die Modernisierung der Eisenbahnstrecken soll vorankommen, die Fahrt von Berlin ins schlesische Breslau "deutlich" beschleunigt werden; heute muss man umsteigen und sechs Stunden Zeit mitbringen. Die Ostsee soll besser geschützt werden, ebenso die "grenzüberschreitende Wolfspopulation". Die Zusammenarbeit von Polizei, Rettungswesen, Psychiatern wird verstärkt. Die Mediation in Familienangelegenheiten soll verbessert werden; die Rolle der deutschen Jugendämter bei geschiedenen deutsch-polnischen Ehen sorgte jahrelang für böses Blut.

Zur großen Politik heißt es, dass beide Länder den fortlaufenden "Erweiterungsprozess der EU" und ihr Programm der "östlichen Partnerschaft" unterstützen. Abrüstung, die Krisenreaktionsfähigkeit der EU, Luftabwehr, ein "neues, völkerrechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen" und zahlreiche konkrete Kulturprojekte werden ins Visier genommen. Eine "reife Nachbarschaft", so heißt es im Text. Nur am Rande tauchen auch deutsch-polnisch-französische Projekte auf. Das alles erinnert ein wenig an den bösen Satz, das "Weimarer Dreieck" funktioniere am besten dann, wenn Frankreich gerade verhindert sei.

Als schwierige Frage tauchte erkennbar nur die deutsch-russische Ostsee-Pipeline auf. Die Verlegung im Meer vor der deutsch-polnischen Grenze hat bei der polnischen Hafenbehörde die Sorge aufkommen lassen, bei einer denkbaren Ausbaggerung der Fahrrinne für tiefere Schiffe eingeschränkt zu sein. Angela Merkel sagte, Deutschland verpflichte sich, "wenn die Zufahrt zum Hafen nicht mehr gewährleistet sein sollte, die Pipeline tiefer zu legen".

Die Außenminister Radoslaw Sikorski und Guido Westerwelle schrieben in einem Zeitungsbeitrag, dass "die wirtschaftlichen Mentalitäten beider Länder sich (...) angenähert haben". Polen und Deutschland rechneten sich zur Gruppe der solide wirtschaftenden Staaten, heißt es sibyllinisch. Der Text endet mit dem Anklang an Karl Marx: "Polen und Deutschland wollen Europa bauen, nicht nur interpretieren."

Das mag auch Philipp Rösler durch den Kopf gegangen sein. Er unternimmt seine erste europäische Reise als Wirtschaftsminister. "Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es der Regierung gut", sagt sein Kollege Waldemar Pawlak. Rösler lächelt. Was soll er auch sagen? In Deutschland geht diese Gleichung einfach nicht auf. Und wer sollte das besser wissen als er, Chef der Fünf-Prozent-FDP und Wirtschaftsminister? Später, beim Empfang des deutsch-polnischen Wirtschaftsgipfels in Warschau gibt es doch noch eine Antwort, in Röslers gewohnt selbstironischer Art. "Den Unternehmen in Deutschland geht's gut. An den Auswirkungen auf die Regierung müssen wir noch arbeiten." Mit Pawlak besucht er das Volkswagen-Werk und die Nivea-Fabrik in Posen. Aber die Probleme aus Deutschland lassen Rösler auch in Polen nicht los. Auf einer Podiumsdiskussion mit Pawlak in der Technischen Universität (TU) Warschau wird er vor allem zur Energiewende und zur Euro-Krise gelöchert. Rösler erklärt die Haltung der Bundesregierung tapfer. Man sei entschlossen, umweltfreundlich aus der Atomenergie auszusteigen. Aber er weiß natürlich, dass man die höhere Abhängigkeit von Gas und Öl in Warschau kritisch sieht. Nach dem Gespräch mit Pawlak ist sich Rösler jedoch ganz sicher, dass Polen in der EU-Ratspräsidentschaft die deutschen Positionen in der Euro-Krise unterstützen wird.

Aber die wohl wirklich überraschende Erkenntnis der Podiumsdiskussion war eine andere: Rösler ist Kanzler. Zumindest spricht ihn der Moderator immer wieder als "verehrten Kanzler Rösler" an. Ein Übersetzungsfehler? Die Polen würden aus Höflichkeit ihre Gäste immer um eine Position befördern, so eine andere Theorie. Als was denn die Kanzlerin dann begrüßt werde? Als Päpstin? "Ich möchte daran erinnern", sagt Philipp Rösler, "der Papst ist auch nur ein Stellvertreter."