Deutschland braucht ein neues Wahlrecht. Grüne für Abschaffung der Überhangmandate

Berlin. Die Zeit drängt: Bis zum 30. Juni müssen sich die Parteien auf eine Reform des Wahlrechts geeinigt haben. So hat das Bundesverfassungsgericht 2008 geurteilt. Künftig muss verhindert werden, dass eine Partei bei Bundestagswahlen mehr Mandate dadurch bekommt, dass sie in bestimmten Ländern weniger Zweitstimmen erhält, so die Karlsruher Richter vor drei Jahren. Doch ein Erfolg versprechendes Konzept gibt es bis heute nicht.

"Um die Frist des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten, müssen wir jetzt Gas geben", sagte der erste parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, dem Hamburger Abendblatt. Und geht es nach Beck, sind jetzt vor allem Union und FDP am Zug: Die schwarz-gelbe Koalition halte an den Überhangmandaten fest - ihr Modell könne das negative Stimmengewicht nicht komplett beseitigen, kritisierte der Grünen-Politiker. "Genau diese Überhangmandate sind aber das Problem, weil so die Partei, die die meisten Zweitstimmen bekommen hat, nicht unbedingt auch die meisten Sitze im Bundestag erhält", sagte er. "Wir brauchen aber dringend ein Wahlrecht, bei dem nur die Wähler darüber entscheiden, wer im Bundestag die Mehrheit hat." Alles andere sei Trickserei.

"Unser Vorschlag lautet: Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erreicht, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, müssen diese Mandate von den Listenmandaten anderer Bundesländer verrechnet werden", sagte Beck. So vermeide man Überhangmandate und das negative Stimmengewicht entfalle. Die SPD hingegen plädiert dafür, die Überhangmandate durch zusätzliche Mandate für die anderen Parteien auszugleichen, was die Anzahl der Bundestagsabgeordneten vergrößern würde.

Ähnlich wie zuvor der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, warnte auch Beck vor einer Staatskrise, sollte das Wahlrecht nicht fristgerecht reformiert werden. Käme es zu vorgezogenen Neuwahlen etwa durch eine gescheiterte Vertrauensfrage der Bundeskanzlerin, "könnte das Bundesverfassungsgericht einer Wahlbeschwerde stattgeben", befürchtet Beck. Damit gäbe es keinen rechtmäßig gewählten Bundestag. "Die staatliche Hansdlungsfähigkeit wäre damit komplett infrage gestellt. Die Staatskrise wäre perfekt." Ex-Verfassungsrichter Papier hatte ebenfalls von einer "schweren Staatskrise" gesprochen. "Deutschland wäre politisch lahmgelegt", so der Richter.