Karl-Theodor zu Guttenberg setzte oft auf Effekte, Thomas de Maizière mehr auf Effizienz - ob beim USA-Besuch oder bei der Bundeswehrreform

New York/Washington. Die Büros im Hochhaus der Vereinten Nationen in New York sind alles andere als beeindruckend. Der Gebäudekomplex am East River wurde 1951 fertiggestellt, die Modernisierung der maroden Bausubstanz hat zwar begonnen, wird aber erst 2015 abgeschlossen sein. Bis dahin verleiht Susan Rice, 46, Botschafterin der USA bei der Uno, ihrem schmucklosen Arbeitsplatz in der 12. Etage der Hochhausbaustelle mit vielen Fotos Atmosphäre: Neben Schnappschüssen ihrer Familie gibt es vor allem eine Reihe von Bildern der Karrierediplomatin mit Barack Obama zu sehen.

Thomas de Maizière (CDU), seit Anfang März deutscher Verteidigungsminister, begann seine erste Dienstreise in die USA mit einer Visite bei dieser engen Bekannten des Präsidenten. Ein bisschen war das wie ein Aufeinanderprall zweier politischer Kulturen: Auch de Maizière, 57, ist ja ganz nah dran an der mächtigsten Frau seines Landes, der Bundeskanzlerin. Es ist allerdings nicht bekannt, dass er in seinem Berliner Büro private Fotos mit Angela Merkel zur Schau stellt. Und auch ansonsten pflegt er seine Macht eher diskret auszuüben: De Maizière versteht sich als allürenfreier Staatsdiener. Effektivität ist ihm wichtiger als Eitelkeit.

Sein Vorgänger, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), war anders. Bei einem New-York-Besuch vor zwei Jahren wurde eines der am häufigsten gedruckten Fotos eines deutschen Politikers der Gegenwart aufgenommen: Der Freiherr, damals noch als Wirtschaftsminister unterwegs, hatte sich inmitten der Finanzkrise mit ausgebreiteten Armen vor den Leuchtreklamen am Times Square ablichten lassen. Zu einem "Hoppla jetzt komm ich"-Parforceritt geriet auch seine Antrittsreise als Verteidigungsminister in die USA im November 2009. Aus Paris kommend ging es in Washington mit Blaulicht ins Pentagon zu seinem Amtskollegen Robert Gates, anschließend zu Gesprächen ins Weiße Haus, dann zu einer Grundsatzrede über sämtliche Krisenherde der Weltpolitik ins Zentrum für strategische Studien.

Bei den Amerikanern kam das damals gut an. Sie würdigten ihn, der seine "transatlantischen Wurzeln" beschwor, als "respektierte Stimme in allen Fragen der Sicherheitspolitik" und "großen Freund" Amerikas. Vergleichbare Schwärmereien löste de Maizière nicht aus. Dabei ist der preußische Hugenotte vom fränkischen Freiherrn politisch gar nicht so weit entfernt. Auch er sieht sich als überzeugter Transatlantiker, auch er nimmt ein außenpolitisches Mitspracherecht in Anspruch. Nur ist ihm eben die große Geste fremd. Ein Foto auf dem Times Square? Für "touristische Ausflüge", sagte er, lasse sein Programm keine Zeit. Vorträge über die Weltlage? Er sei zum Kennenlernen und zum Meinungsaustausch gekommen. Die einzige Rede, die er hielt, hatte er von seinem Vorgänger geerbt: Guttenberg hatte eine Einladung des American Jewish Committee angenommen.

Ansonsten gibt der Neue lieber den Minister der Defensive. Er hört zu, statt vorzutragen. Die Visite in den USA ging er genauso strukturiert an wie seine Aufgabe insgesamt. Zum Auftakt wollte er sich in New York detaillierter über jene Organisation informieren, die so etwas wie der Hauptauftraggeber der Bundeswehr ist: die Uno. "Die Bundeswehrreform", sagt de Maizière, "ist die organisatorische Antwort auf die lange Wunschliste, mit der uns die UN konfrontiert."

Der Umfang der Truppe soll zwar reduziert, die Zahl der unter Uno-Mandat einsatzbereiten Soldaten aber erhöht werden, sagte de Maizière in Gesprächen mit Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon und Mitgliedern des Sicherheitsrats. Er versprach eine weitere deutsche Beteiligung an internationalen Einsätzen. Ban habe das Engagement der Bundeswehr beispielsweise in Afghanistan "sehr gewürdigt".

Dabei weiß der Minister, dass die Wünsche der Vereinten Nationen und die Bereitschaft der Bürger in Deutschland, diesen Erwartungen gerecht zu werden, "differieren". Die Akzeptanz für internationale Verpflichtungen zu erhöhen betrachtet er neben der technischen Durchführung der Bundeswehrreform deshalb als seine wichtigste "politische Führungsaufgabe". Die geht er mit Akribie an. Wo Guttenberg mit jugendlichem Schwung große Veränderungen wie die Aussetzung der Wehrpflicht auf den Weg brachte, ohne sich allzu sehr um die Details zu kümmern, da geht de Maizière kleinteilig, korrekt, wägend vor. Die Verantwortung für den Umbau einer 300 000 Mitarbeiter zählenden Organisation ist eine Respekt gebietende Aufgabe - zumal sich auf dem globalen Feld der Sicherheitspolitik beinahe täglich neue, nicht immer planbare Lagen ergeben.

Anschaulich bekam de Maizière das beim zweiten Teil seiner USA-Visite vor Augen geführt. Die erste unfreiwillige Änderung des Reiseprogramms konnte er noch humoristisch nehmen: Weil der Luftraum über New York am Mittwoch für einen Zwischenstopp Präsident Obamas gesperrt wurde, musste der Minister die 350 Kilometer nach Washington per Bahn bewältigen. Ärgerlicher war schon die Schrumpfung seines Besuchsprogramms in der Hauptstadt. Eigentlich wollte er neben Verteidigungsminister Robert Gates auch Außenministerin Hillary Clinton und CIA-Chef Leon Panetta treffen. Doch ausgerechnet gestern rief Präsident Obama sein Sicherheitskabinett ins Weiße Haus, um eine umfangreiche Rochade zu verkünden. Panetta löst Gates ab, General David Petraeus übernimmt die CIA. Für Termine mit dem Deutschen blieb da keine Zeit.

Damit bot sich auch kaum Gelegenheit, die Spannungen im Verhältnis zum wichtigsten Verbündeten zu entladen. Hillary Clinton hatte jüngst in Berlin recht deutlich ihr Missfallen über die deutsche Abstinenz beim Militäreinsatz in Libyen geäußert. Und auch in Deutschland selbst will die Diskussion, ob die Bundesregierung das Land mit ihrem Libyenkurs gegenüber den westlichen Verbündeten isoliert hat, nicht verstummen. De Maizière hält die Debatte für "verschüttete Milch", er will, jedenfalls öffentlich, keinen Beitrag mehr dazu leisten: "Irgendwann einmal sollte die Diskussion zu Ende sein." Er hält es für dringlicher, jetzt im Rahmen der Bundeswehrreform eine sicherheitspolitische Philosophie zu erarbeiten, aus der für jeden transparent hervorgeht, mit welchen Maßstäben die Regierung über künftige Militäreinsätze entscheidet.

In seinem Ministerium traut man ihm das zu. Mit seinem unaufgeregten Arbeitsstil hat er sich Respekt erworben. Er hat den Berliner Bendlerblock und die Bonner Hardthöhe so übernommen, wie man es von einem Mann mit seiner Erfahrung erwarten kann: professionell. Nach zwanzig Jahren als Staatssekretär, Minister und Chef des Bundeskanzleramts kann er das Organigramm einer Behörde lesen. Zentrale Schnittstellen besetzte er mit Vertrauten, in Gesprächen mit den Abteilungsleitern hat er klargemacht, dass er sie einbeziehen will, dafür aber präzise Arbeit erwartet.

Ende Mai, Anfang Juni ist die Schonzeit vorbei. Bis dahin wird noch geplant und gerechnet, dann muss de Maizière Entscheidungen treffen - und erläutern, wie er eigentlich Unvereinbares miteinander in Einklang bringen will: Die Sparvorgabe des Kabinetts von 8,3 Milliarden Euro bei gleichzeitiger Verbesserung der Attraktivität zur Rekrutierung von Freiwilligen. Oder die Reduzierung von 250 000 auf bis zu 185 000 Soldaten. Schon bald wird Thomas de Maizière zeigen müssen, dass er auch die Offensive beherrscht.