Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg kann Wende in Entsorgungsfrage bringen. Heute wird er veröffentlicht

Stuttgart/Hannover. In die Suche nach einem Atommüllendlager kommt mit einem Vorstoß der künftigen grün-roten Koalition in Baden-Württemberg Bewegung. Grüne und SPD wollen in ihrem Koalitionsvertrag vereinbaren, sich für eine ergebnisoffene bundesweite Suche einzusetzen. Damit wäre auch Baden-Württemberg als Standort möglich. Bisher wird als einziger potenzieller Standort der Salzstock Gorleben in Niedersachsen als Endlager für hoch radioaktiven Müll aus Kernkraftwerken erkundet.

Voraussetzung ist für Grüne und SPD in Baden-Württemberg der definitive Ausstieg aus der Atomenergie. Der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte bereits in einem Interview angekündigt, in dem Fall "selbstverständlich" auch die Untersuchung von Tonschichten in seinem Bundesland zuzulassen. "Alles, was geeignet ist für atomare Endlager, muss untersucht werden. Da ist niemand ausgenommen." Die bisherige schwarz-gelbe Landesregierung hatte eine Suche nach einem Endlager in Baden-Württemberg stets abgelehnt: Bevor Gorleben nicht abschließend erkundet sei, stelle sich die Frage nach anderen Standorten nicht.

Die schwarz-gelbe Landesregierung in Hannover reagierte erfreut auf die Ankündigung aus Stuttgart. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, begrüßte den neuen Kurs im Südwesten als vorbildlich. "Das ist ein ganz wichtiges und starkes Signal", sagte er im SWR-Hörfunk. Damit bestehe erstmals auch in einem anderen Land als Niedersachsen die Bereitschaft zu sagen, man stelle sich der Verantwortung.

Niedersächsische Atomkraftgegner, die vom Bund einen Stopp des Projekts im Wendland fordern, bescheinigten Kretschmann einen mutigen ersten Schritt. Allerdings müssten jetzt andere Bundesländer folgen, sagte der Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, in Lüchow. "Grundsätzlich sind jetzt auch die Bayern hier gefragt."

Die dortige Regierung blieb aber bei ihrem Nein. "Bayern ist für einen Endlagerstandort nicht geeignet - und zwar aus geologischen, nicht aus politischen Gründen", erklärte ein Sprecher des Landesumweltministeriums.

Für Diskussionen sorgte die Ankündigung der Bahn, mit der neuen Regierung über die zusätzlichen Kosten infolge des geplanten Volksentscheids über Stuttgart 21 zu verhandeln. Denn die von Grün-Rot geplante Volksabstimmung verzögere die Arbeiten und verteuere den Bau: "Ein Hinzurechnen dieser Kosten auf die im Rahmen des Finanzierungsvertrags vereinbarten Projektkosten von 4,5 Milliarden Euro ist für die Deutsche Bahn nicht zu akzeptieren." Auch die Äußerungen Kretschmanns über die Zukunft der Autobranche schlugen Wellen. Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück appellierte an die Grünen, keine Ängste in der Autoindustrie zu schüren. "Porsche und Daimler sollten nicht in die Schmuddelecke gestellt werden. Beide Unternehmen bauen schon jetzt umweltfreundliche Autos und verkaufen sie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit", sagte Hück.

Kretschmann hatte in einem Zeitungsinterview gesagt: "Weniger Autos sind natürlich besser als mehr. Wir müssen in Zukunft Mobilitätskonzepte verkaufen und nicht nur Autos." Zugleich warb der künftige Regierungschef für den Bau spritsparender Fahrzeuge. Die IG Metall reagierte verärgert. In der Autobranche werde ein wichtiger Teil des Wohlstands von Baden-Württemberg erwirtschaftet, betonte ein Gewerkschaftssprecher in Stuttgart.