Bundesregierung vereinbart Eckpunkte gegen den Medizinermangel. Für SPD-Vize Manuela Schwesig reichen die Maßnahmen nicht aus

Hamburg/Berlin. Auf dem Land soll es künftig mehr Ärzte geben. Nach monatelangen Verhandlungen verständigten sich die Gesundheitsexperten der schwarz-gelben Koalition am Freitag auf ein Maßnahmenpaket, mit dem der Ärztemangel in dünn besiedelten Regionen bekämpft werden soll. Auch für Norddeutschland sind entsprechende Maßnahmen wichtig: Zwar gibt es in Hamburg eher zu viel als zu wenig Mediziner, aber in Schleswig-Holstein werden in den kommenden Jahren Hunderte Ärzte fehlen. Und in Mecklenburg-Vorpommern stehen bereits jetzt viele Hausarztpraxen leer.

"Wir setzen klar auf Anreize", sagte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Dazu gehört, dass Landärzte künftig finanziell besser gestellt werden sollen, indem sie nicht mehr ab einer bestimmten Zahl von Patienten ein geringeres Honorar erhalten. Für besondere Behandlungsmethoden gibt es Zuschläge. Zudem steht eine Erleichterung von Familie und Beruf im Fokus: Die Ärzte müssen nun nicht mehr in der Gemeinde wohnen, in der sie ihre Praxis haben. Und die Mediziner sollen die Möglichkeit bekommen, für drei Jahre einen Assistenten zu beschäftigen, wenn sie sich um die Erziehung eines Kindes kümmern.

Kritik an den Plänen kommt von der Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD). "Die Eckpunkte für ein Versorgungsgesetz des Bundes reichen nicht aus", sagte sie dem Hamburger Abendblatt. Noch am Mittwoch habe Rösler auf einer Konferenz mit den Ländern eingelenkt und sei in wesentlichen Punkten den Anregungen der Länder gefolgt. "Nun hat er aber in einigen wichtigen Punkten die Verabredungen mit allen Ländern nicht eingehalten und konnte sich in der eigenen Koalition nicht durchsetzen", so Schwesig. "Da ist der zukünftige FDP-Parteivorsitzende und Vizekanzler von seinen eigenen Leuten schon gestoppt worden bevor er überhaupt gestartet ist."

Wichtig sei den Ländern ein Initiativrecht gewesen, um auf Bundesebene Versorgungsmängel im Gemeinsamen Bundesausschuss zu thematisieren. Jetzt soll es nur ein Beratungsrecht geben. "Es muss doch möglich sein, die Probleme, die uns vor Ort bekannt werden, dort anzusprechen, wo sie hingehören", forderte die SPD-Vizevorsitzende. "Wir wollen uns offensiv an der Problemlösung beteiligen." Rösler wolle sich offensichtlich wegducken. Positiv wertet Schwesig jedoch, dass künftig auch die von ihr seit Langem beworbene Landarztquote bei der Zulassung zum Medizinstudium zur Gewinnung von mehr Hausärzten im ländlichen Raum möglich sein soll. Wer sich bereit erklärt, nach seinem Studium eine Zeit lang auf dem Land zu arbeiten, soll ohne Wartezeit einen Studienplatz bekommen. "In unserem Bundesland stehen inzwischen mehr als 180 Hausarztpraxen leer, bei steigender Tendenz", betonte die Ministerin. "Schätzungen haben ergeben, dass bis 2020 rund 40 Prozent der Haus- und Fachärzte in Mecklenburg-Vorpommern ihre Praxen aus Altersgründen schließen."

Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister und stellvertretender Ministerpräsident Heiner Garg (FDP) warnte vor ähnlichen Zuständen. "In fünf Jahren werden in Schleswig-Holstein bis zu 900 Ärzte fehlen", sagte er dem Abendblatt. Die durch das Versorgungsgesetz ermöglichten Maßnahmen seien jedoch ein guter Schritt, um dieses Problem abzufedern. "Es darf keine Denkverbote geben, wenn es um die Umsetzung geht", forderte Garg. "Gerade im dünn besiedelten Norden könnten zum Beispiel mobile Landärzte helfen, die Versorgung sicherzustellen." Unabhängig vom Versorgungsgesetz müsse man auch über eine bessere Honorierung von Landärzten reden. "Zwar haben wir begrenzte Ressourcen, aber in Zeiten einer älter werdenden Gesellschaft ist es wichtig, der sprechenden Medizin wieder mehr Raum zu geben. Die Ärzte müssen mehr Zeit haben für ihre Patienten - und diese Zeit muss als Leistung bezahlt werden", forderte der FDP-Politiker.

Hamburger Ärzte sehen die neuen Regeln mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Von Ärztemangel ist in der Hansestadt nichts zu spüren. Im Gegenteil: Aus dem Speckgürtel, aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen kommen Zehntausende Patienten zur Behandlung nach Hamburg. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Dieter Bollmann, sagte dem Abendblatt: "Ich hoffe, dass jetzt die Abschläge beim Honorar wegfallen, die Hamburg immer hinnehmen musste, weil es als überversorgte Region galt." Bislang mussten die Ärzte mit weniger Geld aus dem Honorartopf auskommen, weil es Praxen an jeder Straßenecke gibt. Bollmann fürchtet jedoch, dass durch eine Verschiebung von Geldern Richtung Landärzte die besonderen Bedürfnisse einer Metropole wie Hamburg nicht mehr berücksichtigt würden. "Wir fordern mehr Regionalisierung. Man kann aus Berlin nicht entscheiden, ob in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg ein Kinderarzt fehlt."