Nach dem offenbar vereitelten Anschlag auf den Signal-Iduna-Park führt das BKA die Ermittlungen weiter. Der Tatverdächtige sitzt in U-Haft.

Wiesbaden/Dortmund. Die Ermittlungen nach dem Sprengstoff-Fund nahe des Dortmunder Fußballstadions werden sich aller Voraussicht nach hinziehen. Vor nächster Woche werde nicht klar sein, ob die drei Sprengsätze tatsächlich funktionstüchtig waren und hätten explodieren können, sagte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts am Freitag in Wiesbaden auf Anfrage. Am Dienstag war ein 25-Jähriger aus Krefeld festgenommen worden, der der Polizei von einem möglicherweise bevorstehenden Anschlag auf das Stadion berichtete hatte. In seiner Wohnung fanden die Ermittler Sprengmaterial und Chemikalien, wie das BKA am Donnerstag bestätigt hatte.

Laut BKA-Präsident Jörg Ziercke wollte er die Behörden wohl erpressen. Hinweise auf einen terroristischen oder islamistischen Hintergrund sehen die Behörden nicht. "Er wollte ein gesichertes Leben danach, er wollte letztlich Geld von uns und die Chance habe ich ihm natürlich nicht gegeben“, sagte der BKA-Chef am Donnerstag der ARD. Der 25-Jährige sitzt den Angaben zufolge in Untersuchungshaft. Ob er weiter vernommen werde, wollte die BKA-Sprecherin nicht sagen. Das Bundeskriminalamt äußere sich generell nicht zu laufenden Ermittlungen.

Nach Experten-Einschätzung ist der verdächtige 25-Jährige ein gefährlicher Psychopath. "Wir müssen von einem unberechenbaren und brandgefährlichen Menschen ausgehen, der bei seinem Vorgehen nicht vor Verletzten oder Toten zurückschreckt“, sagte der Psychotherapeut und Traumatologe Christian Lüdke am Freitag. "Egal, ob die gefundenen Sprengsätze echt sind oder sich als Attrappen erweisen sollte: Man muss so einen Fall immer ernst nehmen. Es ist hohe kriminelle Energie im Spiel.“

Lüdke, als Therapeut auf Fälle von Gewalt und Kriminalität spezialisiert, betonte: "Es geht dem Täter darum, Angst und Schrecken zu verbreiten und Machtgefühle zu erleben.“ Es handele sich bei dem mutmaßlichen Erpresser um einen „real gefährlichen“ Menschen, der trotz seines noch recht jungen Alters offenbar schon einmal auffällig geworden sei. Es gibt Hinweise, dass der Mann vor einem Jahr versucht hatte, ein Unternehmen zu erpressen. "Der logistische Aufwand und der hohe Planungsaufwand, die er betrieben hat, zeigen, dass er ein alltagstauglicher Mensch ist und kein Dummer.“ Er sei auch nicht als psychisch Kranker – im Sinne von unzurechnungsfähig – einzustufen.

"Psychopathen sind anti-soziale Menschen, die keine Gefühle kennen und keine Gefühle haben“, sagte der Psychotherapeut. Das treffe auf diesen Mann zu, der Angstreaktionen erzeugen wolle, auch um sich selbst damit zu erhöhen. Die Wissenschaft gehe in solchen Fällen zu mehr als 90 Prozent von Einzeltätern aus. "Sein familiärer Hintergrund deutet darauf hin, dass er nicht materiell verwahrlost war“, meinte Lüdke. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der 25-Jährige "emotional verwahrlost“ sei. "Psychopathen handeln oft nach dem inneren Drehbuch: Wenn ich nicht geliebt werde, dann werde ich wenigstens gehasst – und damit endlich wahrgenommen.“ Der Mann hatte die Ermittler selbst auf seine Spur gebracht.

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Anschlag vereitelt - Die Angst spielt immer mit

Es ist noch einmal alles gut gegangen. Und überhaupt steht ja auch noch gar nicht zweifelsfrei fest, ob mit den "sprengstoffähnlichen Gegenständen", die gestern von Ermittlern des Bundeskriminalamtes (BKA) nahe dem Signal-Iduna-Park auf dem Parkplatz C an der Endhaltestelle der U-Bahn gefunden wurden, tatsächlich ein Anschlag auf das Stadion des mutmaßlichen neuen deutschen Fußballmeisters verübt werden sollte, der am morgigen Sonnabend Hannover 96 empfängt. Oder auf die Zuschauer? Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Pikanterie, dass ein solcher Fund ausgerechnet an dem Tag geschah, an dem sich die Sicherheitsbeauftragten der Bundesligavereine zu einer Klausurtagung im Europapark Rust im Badischen zusammengesetzt hatten.

In einer ersten Stellungnahme sagte Helmut Spahn, Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): "Wir stehen mit den Behörden und Vereinen in engem Kontakt, um uns ein genaues Bild zu machen. Bisher sind die detaillierten Hintergründe und damit verbundenen Absichten aber noch nicht klar und auch nicht abschließend zu beurteilen."

Das BKA ermittelte in diesem Fall bereits seit Februar dieses Jahres: Ein anonymer Hinweisgeber hatte per E-Mail Kontakt zur deutschen Botschaft in Islamabad aufgenommen und Informationen zu zwei angeblich geplanten Anschlägen in Deutschland liefern wollen. Da der Informant offenbar über umfangreiche Kenntnisse zu sogenannten "unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" verfügte, nahm das BKA seine Angaben ernst und übernahm wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens die Ermittlungen.

Rasch mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die geschilderten Anschlagsszenarien durch den Informanten selbst konstruiert worden waren. Offenbar ging es ihm um eine Erpressung. Bereits am vergangenen Dienstag konnte dann ein 25 Jahre alter Deutscher in einem Kölner Hotel festgenommen werden. Bei der Durchsuchung seiner Wohnräume wurden neben einem Laptop, externen Speichermedien, schriftlichen Unterlagen und einem umfangreichen Chemikalienvorrat drei sprengstoffverdächtige Gegenstände sichergestellt. Bei der Vernehmung war der Mann geständig, auch drei weitere Sprengsätze - Pakete mit Zeitzündern - in der Nähe des Dortmunder Stadions deponiert zu haben. Ob der vereitelte Anschlag einen islamistischen Hintergrund haben könnte, wie zunächst vermutet, bestätigte das BKA nicht: Der Tatverdächtige soll im vergangenen Jahr ein Wirtschaftsunternehmen erpresst haben. "Die kriminaltechnischen Untersuchungen zur Frage einer möglichen Funktionsfähigkeit der sprengstoffverdächtigen Gegenstände sowie der möglichen Verwendbarkeit der aufgefundenen Chemikalien dauern an. Nach einer ersten Einschätzung war jedoch nicht von einer akuten Gefährdung der Bevölkerung auszugehen", hieß es in einer Erklärung der Wiesbadener Behörde.

Am Abend gab dann das Bundesinnenministerium endgültige Terrorentwarnung: "Der Vorgang hat keinerlei Bezüge zu terroristischen oder islamistischen Organisationen. Es handelt sich bei dem Beschuldigten offenbar um einen Einzeltäter mit allgemeinkriminellen Motiven. Eine Gefährdung Dritter hat nach bisherigen Erkenntnissen zu keinem Zeitpunkt bestanden", lautete die Erklärung.

Es ist also wieder mal alles gut gegangen. So wird die Bundesligapartie des BVB gegen Hannover wie geplant angepfiffen. Um den "sicheren Besuch aller Fans beim Spiel am Sonnabend zu ermöglichen, wird der BVB vorsorglich seine Sicherheitsmaßnahmen rund um den Signal-Iduna-Park in Absprache mit der Polizei ab sofort noch einmal verschärfen", kündigte Hans-Joachim Watzke, der Vorsitzende der Dortmunder Geschäftsführung, an.

Nach einer ersten Schrecksekunde ("Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fußballfans zu solchen Überlegungen fähig sind. Das muss andere Gründe haben!") lehnte auch Martin Kind, der hannoversche Vereinsboss, eine Absage des Spiels ab: "Das wäre das falsche Signal, ich fahre gerne nach Dortmund. Wir können uns auf ein sicheres und attraktives Fußballspiel freuen. Ich gehe ins Stadion ohne ein Gefühl der Angst - das wäre kein guter Ratgeber."

Beim HSV hat es einen vergleichbaren Fall noch nie gegeben. Das Stadion wird zwar häufiger von Sprengstoffhunden untersucht, aber nur, um gebunkerte Pyrotechnik der Fans rechtzeitig aufzuspüren. Zuletzt passierte das vor dem Derby gegen den FC St. Pauli. Ansonsten wird das Hamburger Stadion vor jedem Spiel mindestens zweimal mit einer "visuellen Begehung" untersucht: einen Tag vor dem Spiel durch den Reinigungsdienst und am Spieltag selbst noch einmal genauer durch den Ordnungsdienst. Die Zuschauer werden nach verbotenen Gegenständen abgetastet; Taschen, Tüten und Rucksäcke werden gefilzt. Ob sich nach dem verhinderten Anschlag an der Ruhr nun auch etwas beim nächsten Heimspiel (in der kommenden Woche, übrigens gegen Dortmund) an der Elbe ändern muss? "Natürlich werden wir nun den Kontakt mit den Behörden und den Fachleuten suchen", sagte Kurt Krägel, Stadionchef der Imtech-Arena, dem Hamburger Abendblatt. "Nach so einer Aktion muss alles noch mal neu überdacht werden."

Beim zweiten Erstligaklub der Stadt sind die Sicherheitsstandards genauso hoch. "Außerdem wird das Millerntor-Stadion rund um die Uhr von einem Ordnungsdienst bewacht", sagte FC-St.-Pauli-Sprecher Christian Boenig. Doch überall, wo heutzutage große Menschengruppen aufeinandertreffen, existiert die latente Terrorgefahr, haben Menschen inzwischen Angst vor einem Anschlag. Nicht nur auf einem quirligen Markt in Islamabad, vor einer belagerten Botschaft in Bagdad oder in einer voll besetzten U-Bahn in Madrid. Und spätestens seit dem 11. September weiß die ganze Welt, dass es vor allem gegen fanatische Selbstmordattentäter keinen 100-prozentigen Schutz gibt. Vielleicht aber auch nicht gegen Kriminelle wie Erpresser, die ihrer Forderung mittels eines versteckten Sprengsatzes Nachdruck verleihen wollen. Doch wer ein solches Szenario heraufbeschwört, wer die gestrigen Sprengstofffunde in Dortmund in einen Zusammenhang mit Rauchbomben und Leuchtfeuern bringt, die trotz aller Kontrollen immer mal wieder auf den Stehplätzen großer Stadien gezündet werden, verkennt mit großer Wahrscheinlichkeit die Realität.

"Eigentlich haben wir in den drei Profiligen keine Sicherheitsprobleme mehr", sagt Helmut Spahn. In den drei Profifußballligen sei aufgrund der Infrastruktur in den Stadien und der Zusammenarbeit der Ordnungsdienste mit der Polizei auch ein signifikanter Rückgang von Straftaten und gewaltsamen Auseinandersetzungen zu beobachten.

Für die Sicherheit in den Stadien sorgen - vor allem in den ersten beiden Ligen - jeweils mehrere Hundert Ordner; je nach Spielpaarung, Größe des Stadions und der allgemeinen Gefährdungslage kommen in Deutschland bis zu über 1000 von ihnen zum Einsatz. Hinzu kommen durchschnittlich 250 Polizeibeamte pro Partie.

Vor jedem Spiel gibt es eine Besprechung, auf der der Sicherheitsbeauftragte der Heimmannschaft den Vertretern des Ordnungsamtes, des Straßenverkehrsamtes und der Polizei ein jeweils individuelles Sicherheitskonzept vorstellt, das unter Umständen nachgebessert werden muss. Denn die Zusammenarbeit zwischen den privaten Ordnungskräften und der Polizei funktioniert nur durch eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten und Aufgaben: Jeder, der ein Fußballspiel veranstaltet, ist für die sichere Durchführung des Spiels verantwortlich, bei Länderspielen wäre das also der DFB, bei Ligaspielen sind die Vereine gefordert.

"Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass wir in den Bundesligastadien einen extrem hohen Sicherheitsstandard haben", sagt Helmut Spahn. Bisher ist nämlich eigentlich alles immer noch gut gegangen.

Mit Material von dpa