Erzbischof Robert Zollitsch im Abendblatt-Inerview über den Libyen-Einsatz und die Zukunft der Kernkraft

Berlin. Die katholische Kirche hat sich bislang zurückgehalten mit einer Bewertung des internationalen Militäreinsatzes in Libyen. Erstmals äußert sich der oberste Katholik über die ethische Rechtmäßigkeit der Angriffe. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) stellt sich hinter die militärischen Mittel gegen des Gaddafi-Regime.

Hamburger Abendblatt:

Herr Erzbischof, gibt es einen gerechten Krieg?

Robert Zollitsch :

Jeder Krieg bedeutet unermessliches Leid für die Menschen. Er geht mit Tod, Zerstörung und Vernichtung einher - eine Niederlage der Menschheit, wie Papst Johannes Paul II. es ausgedrückt hat. Die Formel "gerechter Krieg" ist deshalb problematisch und mindestens missverständlich. Allerdings gibt es Situationen, in denen der Einsatz von militärischen Mitteln gerechtfertigt sein kann.

Wann tritt solch ein Fall ein?

Zollitsch:

Dann nämlich, wenn nur so eine Chance besteht, Leben und Freiheit zu verteidigen und massenhaftes Morden abzuwenden. Der Krieg muss dann das kleinere Übel sein. Aber ein Übel bleibt er.

Ist der internationale Militäreinsatz gegen Libyen gerecht?

Zollitsch:

Ich kann die Gründe derer nachvollziehen, die sich für das militärische Eingreifen entschieden haben. Wenn die Truppen des Diktators Gaddafi tatsächlich kurz davor standen, im Osten Libyens ein Blutbad anzurichten, ist ein Militäreinsatz auf der Grundlage eines Mandats zum Schutz der Zivilbevölkerung grundsätzlich vertretbar. Die Bedenken gegen dieses militärische Engagement sollten aber nicht gering geachtet werden.

Inwiefern?

Zollitsch:

Es weiß doch niemand, ob aus dem humanitär begründeten Ad-hoc-Schlag am Ende nicht eine lang anhaltende Verstrickung mit unkalkulierbaren Folgen wird. Auch die Kirche kann in einer solchen Situation keine eindeutige und selbstgewisse Empfehlung an die Politik geben.

Was hätten die Alternativen im Kampf gegen das Gaddafi-Regime sein können?

Zollitsch:

Als Bischof maße ich mir hier keine Expertenmeinung an. Aber es ist nicht erst in der Rückschau problematisch, dass einem offenkundigen Despoten, jedenfalls seit 2004, Waffen und Kommunikationstechnik verkauft wurden, die er bei Bedarf gegen die eigene Bevölkerung einsetzen kann. Auch hatte die Sanktionspolitik der letzten Wochen etwas Halbherziges. Und nicht einmal die westlichen Staaten haben wirklich mit einer Stimme gesprochen. Ob man allerdings mit mehr diplomatischer Klarheit und Stringenz das Schlimmste hätte verhindern können, ist im Nachhinein wohl nicht abschließend festzustellen. Ich will mich hier auch vor Besserwisserei hüten.

Wie bewerten Sie, dass sich die Bundesregierung bei der Uno-Resolution enthalten hat, aber gleichzeitig den Einsatz befürwortet?

Zollitsch:

Die Kanzlerin und der Außenminister haben klar gesagt: Sie halten die Risiken für zu groß. Dass man der anderslautenden Entscheidung der Verbündeten mit Respekt begegnet und sich ihnen nicht offensiv in den Weg stellt, entspricht guten diplomatischen Gepflogenheiten - und ist in diesem Fall auch in der Sache gut begründet.

Die Koalition fürchtet unabsehbare Folgen des militärischen Engagements. Könnte Libyen zum nächsten Irak oder Afghanistan werden?

Zollitsch:

Ich glaube, man sollte sich vor allzu einfachen Vergleichen hüten. Geografie, Kultur und Geschichte sind jeweils sehr unterschiedlich. Aber die Kriege in Afghanistan und Irak haben uns gezeigt, dass auch übermächtig scheinende Interventionskräfte die mittelfristige Entwicklung nicht prognostizieren können. Und sie bekommen die Lage auch bei gutem Willen nicht wirklich unter Kontrolle. Diese Lehre sollten wir nicht vergessen.

Was kann Deutschland für die Menschen in Libyen jetzt tun?

Zollitsch:

Gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft sollte sich Deutschland aktiv darum bemühen, humanitäre Notlagen in der Region zu lindern. Und vielleicht eröffnet der Militärschlag dem libyschen Volk ja wirklich die Möglichkeit, sich auf den Weg zu einer freien und demokratischen Gesellschaft zu machen. Auch für diesen Prozess sollte unser Land seine Unterstützung anbieten.

Herr Zollitsch, seit der Katastrophe von Japan bewertet die Bundesregierung die Sicherheit der Atomenergie neu. Ein glaubwürdiger Kurswechsel?

Zollitsch:

Die Geschehnisse in Japan haben uns zutiefst erschüttert. Die Menschen im betroffenen Gebiet haben durch Erdbeben und Tsunami alles verloren. Sie stehen in den Trümmern einer Katastrophe. Es erschreckt mich, wie sehr die Kernenergiedebatte die Not und Sorgen der Menschen vor Ort überlagert. Natürlich muss man angesichts der dortigen Ereignisse die Lage in Deutschland auch noch einmal neu betrachten. Ich kann nur hoffen, dass diese Debatte nicht bloß kurzfristig und emotional unter dem Eindruck des Schocks geführt wird, sondern gründlich und sachlich.

Erst im vergangenen Herbst hat Schwarz-Gelb die Laufzeiten der deutschen Meiler verlängert. Und nun, kurz vor wichtigen Landtagswahlen, gelten die alten Argumente nicht mehr. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Zollitsch:

Momentan ist ja erst einmal ein Moratorium verkündet worden. Der Einwand, es gebe Wahlen, liegt natürlich nahe; aber es wäre doch auch unglaubwürdig und unverantwortlich, wenn die Bundesregierung die Nutzung der Kernenergie jetzt nicht noch einmal überprüfen würde. Sicher sind die meisten bisherigen Erkenntnisse nicht überholt. Dennoch muss die Frage, ob wir das Risiko der Kernenergie weiter tragen wollen, immer wieder politisch beantwortet werden.

Wie schnell muss der Ausstieg aus der Kernkraft vollzogen werden?

Zollitsch:

Als Kirche haben wir Bedenken, dass die Kernenergie eine langfristig tragfähige Lösung ist, vor allem auch wegen der ungelösten Endlagerproblematik. Die Entscheidung über den zeitlichen Horizont des Ausstiegs ist jedoch eine politische.

Der Politik kann es auf einmal nicht schnell genug gehen. ..

Zollitsch:

Zunächst einmal gilt: Wir brauchen eine stabile und zuverlässige Energieversorgung. Der Verzicht auf die Atomenergie setzt Alternativen voraus: Stromimporte bedeuten im Zweifelsfall Atomstrom aus Frankreich, neue Kohlekraftwerke verstärken den Klimawandel, Wind- und Solarenergie brauchen neue Netze, die Geothermie ist noch nicht ausgereift, und Bioenergie steht in anderen Zielkonflikten. Denken wir nur an die Diskussion des letzten Monats über den Biokraftstoff E10 und den Konflikt zwischen "Tank und Teller". Wir können ja nicht alle Formen der Energiegewinnung ablehnen. Mit unterschiedlichen Wegen der Energieversorgung müssen also auch verschiedene Risiken und Folgen gegeneinander abgewogen werden. Darüber muss die Gesellschaft diskutieren.

Was erwarten Sie sich von der Ethikkommission, die im Zuge des dreimonatigen Moratoriums über die Zukunft der Kernkraft beraten soll?

Zollitsch:

Meines Erachtens kann es nicht Aufgabe dieser Ethikkommission sein, möglicherweise schon feststehenden politischen Entscheidungen über den weiteren Umgang mit Kernenergie einen ethisch legitimen Anstrich zu geben. Natürlich wird es dort auch um eine risikoethische Beratung der Kernenergie gehen. Ich hoffe aber, dass es der Kommission darüber hinaus gelingt, die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen der Energieproblematik insgesamt deutlich zu machen. Hierzu können die Kirchen einen Beitrag leisten.

Die Kirchen könnten Vorreiter der Energiewende sein - und atomfreien Strom beziehen. Denken Sie darüber nach?

Zollitsch:

Wir sind da schon aktiv! Seit vielen Jahren wird in deutschen Diözesen, Klöstern und kirchlichen Einrichtungen durch bauliche Maßnahmen wie Wärmedämmung, effizientere Heizungssysteme, thermische und fotovoltaische Anlagen auf Kirchen ein Beitrag hierzu geleistet. So will beispielsweise das Erzbistum Freiburg bis 2014 bei Gebäuden über 38 Prozent CO2 einsparen. Wir hoffen, dass viele diesem Beispiel folgen.