Angst vor Standortschließungen und Personalabbau im Norden

Berlin. Für den neuen Verteidigungsminister gibt es angenehmere Debatten im Bundestag als die gestrige. "Ich finde das keinen Freudenakt heute, dass wir hier die Wehrpflicht aussetzen", sagte Thomas de Maizière kurz vor seiner Rede im Plenum des Reichstags. Es sei eine notwendige, aber ihn nicht fröhlich stimmende Entscheidung. Seit 1955 gibt es die Wehrpflicht - künftig aber sollen keine jungen Männer mehr zum Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet werden. Das ist durch die schwarz-gelbe Bundesregierung längst so geplant, wurde jetzt auch vom Bundestag so besiegelt. Die Wehrpflicht sei sicherheitspolitisch und aus Gründen der Wehrgerechtigkeit nicht mehr vertretbar, so de Maizière in der Debatte. "Es gibt keinen Weg zurück."

Das Ende der Wehpflicht ist amtlich - doch die Debatte um die Zukunft der Bundeswehr ist mit dem Beschluss des Bundestags jedoch noch lange nicht beendet. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht verbunden ist das Ziel einer Reduzierung der Truppenstärke auf bis zu 185 000 Soldaten.

Bis Juni will de Maizière nun Entscheidungen über die Reform der Truppe treffen. Er habe zu seinem Amtsantritt vor drei Wochen gesagt, er nehme sich für den Umbau der Streitkräfte die Zeit, die er brauche. "Das heißt nicht, dass ich die Entscheidung auf die lange Bank schiebe", sagte er gestern. Bis Juni werde er daher Festlegungen treffen über die Zahl der Soldaten, Strukturen der Bundeswehr sowie über die Zukunft des Ministeriums und der zivilen Wehrverwaltung. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) kritisierte den derzeitigen Stand bei der Bundeswehrreform scharf. Dem Abendblatt sagte Sellering:

"Da hat der neue Bundesverteidigungsminister eine schwere Aufgabe vor sich. Sein Vorgänger hat den Übergang auf eine Freiwilligenarmee offenbar schlecht vorbereitet." Der Regierungschef erneuerte zudem seine grundsätzliche Ablehnung der Reform. Er halte sie auch deshalb für falsch, weil sie überall in Deutschland zu Standortschließungen führen werde. Zugleich kündigte Sellering an, um die Arbeitsplätze der Soldaten in seinem Bundesland zu kämpfen: "Als Ministerpräsident setze ich mich für den Erhalt möglichst vieler Standorte in Mecklenburg-Vorpommern ein."

Ersetzt wird der bisherige Wehrdienst durch einen zwölf bis 23 Monate langen Freiwilligendienst, für den sich auch Frauen melden können. Während ein Wehrdienstleistender heute nur 378 Euro im Monat verdient, sollen es künftig für den Freiwilligendienst 777 bis 1146 Euro sein. Hinzu kommen weitere Leistungen wie Unterkunft, Verpflegung, Arztbesuche oder Sozialversicherungsbeiträge.

Wie viele Männer und Frauen den neuen freiwilligen Wehrdienst jedoch antreten werden, wollte der Minister nicht voraussagen. "Niemand kann sicher sagen, wie viele Freiwillige am 1. Juli zu uns kommen." In jüngster Vergangenheit war spekuliert worden, dass sich deutlich weniger junge Menschen bewerben als den Planungen der Bundeswehr zufolge benötigt werden. Ende vergangenen Jahres schrieb das Verteidigungsministerium 165 000 junge Männer an, die bereits gemustert waren. Nur 7000 davon - also weniger als fünf Prozent - meldeten Interesse an.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) forderte attraktive Bedingungen in der Bundeswehr, damit sich nun junge Menschen für den Freiwilligendienst entscheiden. Denkbare Maßnahmen seien ein verbesserter Wehrsold für Freiwillige, bessere Unterbringungsstandards für Mannschaftsdienstgrade, eine möglichst heimatnahe Stationierung, weiterhin steuerfreie Geld- und Sachbezüge sowie kostenlose Familienheimfahrten. "Die Gesellschaft muss den jungen Leuten das Gefühl vermitteln, einen ehrenvollen Dienst zu verrichten, auf den sie und unser Land stolz sein können", sagte McAllister dem Abendblatt.

Die verteidigungspolitische Expertin der FDP sieht bei der Rekrutierung keine Schwierigkeiten - sofern die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber von den jungen Frauen und Männern wahrgenommen werde, sagte Elke Hoff dem Abendblatt. Die Bundeswehr benötige dringend ein solides Konzept für die Nachwuchsgewinnung.

Gegen eines dieser Konzepte der Rekrutierung demonstriert eine Arbeitsgruppe Frieden in Rheinland-Pfalz. "Schulfrei für die Bundeswehr", proklamieren sie und fordern ein Ende der Kooperation von Schulen mit der Bundeswehr. "Wir wollen Friedensbildung statt Militarisierung", erklärten die Koordinatoren der Arbeitsgruppe Frieden gestern.