Mit dem Großen Zapfenstreich wurde Guttenberg als Minister verabschiedet. Für die Serenade wählte er “Smoke On The Water“.

Berlin. Er lächelte. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr spielte auf seinen Wunsch "Smoke On The Water" der britischen Rockband Deep Purple. Es war das zweite Stück des Großen Zapfenstreichs, die höchste militärische Ehre, die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zum Abschied zuteil wurde.

Mit Spannung war dieser Moment erwartet worden. Wie gerührt würde Guttenberg sein und vor allem: Wie würde das Orchester die E-Gitarren der Originalversion ersetzen?

Es waren die Trompeten und Posaunen, die dem eingängigen Motiv des Liedes die Würde des Anlasses verliehen. Das höchste Zeremoniell für einen vorerst Gescheiterten. An sich vielleicht, aber vor allem an der Plagiats-Affäre. Als der Druck zu groß wurde, trat der Verteidigungsminister am 1. März zurück. "Am Ende seiner Kräfte" sei er, sagte er in seiner Abschiedsrede und bedankte sich noch einmal bei den Soldaten, die ihm stets den Rücken gestärkt hätten. Und mit diesen Worten im Gedächtnis war der Große Zapfenstreich gestern Abend auf dem zugigen Paradeplatz im Berliner Bendlerblock tatsächlich vielleicht auch so etwas wie ein heimliches Dankesagen, zumindest einiger Soldaten, für die vergangenen 16 Monate.

Lied Nummer eins und drei auf seiner Wunschliste, der Serenade, waren die Märsche "Großer Kurfürst" und "König Ludwig II.". Als der Befehl "Helm ab! Zum Gebet!" über den Platz schallte, faltete auch Guttenberg seine Hände. Sein Nachfolger im Amt, Thomas de Maizière, senkte den Kopf, während Guttenberg geradeaus blickte. Wollte er zeigen, wie entschlossen er ist, zurückzukehren? Jetzt wird er jedenfalls seine Memoiren schreiben, "selbst", wie er selbstironisch in einem Interview betont. Also, vorerst Schlussakkord für Guttenberg. Aber was sagt uns der jetzt? "Smoke On The Water", vielleicht dass hier einer gern Rockmusik hört. Modern wirkte das nicht, das Lied ist ein Oldie, und 1972, als das Lied herauskam, war Guttenberg gerade mal ein Jahr alt.

Dabei passte er so gut in diese Szenerie. Der alte und doch moderne Adel. Und das alte und doch modernisierte "preußische" Zeremoniell. Obwohl der Große Zapfenstreich einer von vielen alten Zöpfen war, welche manch braver Soldat in den frühen Tagen der Bundeswehr abschneiden wollte. Wolf Graf Baudissin, Veteran aus Rommels Generalstab und Referatsleiter im "Amt Blank" (dem Vorläufer des Verteidigungsministeriums), war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der wichtigsten Planer der Wiederbewaffnung, aber strikt gegen die Aufstellung von Musikkorps. "Wir wollen keine Blechmusik im Stile von Tschingderassabumm", ließ der eigentlich ausgesprochen musische Mensch verlauten.

Seine "Alten Kameraden" und neuen Kollegen aber hielten es eher mit Konrad Adenauer. Der Bundeskanzler liebte Militärmusik und wollte, so die Legende, sogar zuerst die Marschmusiker und anschließend die Marschierer aufstellen: "Dat is'n janz wichtiget Kapitel, die Leut' hören dat nämlich furchtbar gern", ist als Ausspruch überliefert. Und so schlüpften die Staatsbürger von 1955 an wieder in die Uniformen und bekamen nicht nur Waffen und Helme ausgegeben, sondern auch den Schellenbaum - jenes Ding, auf dem Gottfried Piefke, preußischer Militärmusiker, 1864 vor den Düppeler Schanzen mit seinem Säbel den Takt zu Beethovens "Yorckschem Marsch" schlug und seine Kameraden gegen die feindlichen Dänen trieb.

Schon am 5. Januar 1956 standen die uniformierten Bundesmusikanten vor ihrer Feuertaufe. Adenauer beging seinen 80. Geburtstag mit dreitägigen Feierlichkeiten, und mancher erinnerte sich noch an einen Vorfall genau vier Jahre zuvor. Damals wünschte sich "der Alte aus Rhöndorf" von einer feierlich angetretenen Grenzschutzkapelle den "Deutschmeistermarsch" - vergeblich. Die Bundeswehr-Kapelle aber bewährte sich, Kapellen wurden einberufen und am 16. Februar 1957 wurde in Rheinbach die Elite-Truppe aufgestellt: Das erste "Stabsmusikkorps der Bundeswehr" (heute "Musikkorps der Bundeswehr", das neue "Stabsmusikkorps der Bundeswehr" wurde 1991 aufgestellt) bekam den Befehl der Repräsentation der Republik im Protokollarischen Ehrendienst. Auf, Auf! Marsch, Marsch! Zum Großen Zapfenstreich für Hohe Staatsgäste, Offiziere, Präsidenten, Kanzler und Verteidigungsminister.

Schon die bundesrepublikanische Premiere war aufsehenerregend: Am 8. Mai 1958 (die Nationale Volksarmee der DDR folgte 1962), dem 13. Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht, blies das Stabsmusikkorps zu Ehren des türkischen Präsidenten Celal Bayar zum Großen Zapfenstreich. Das Wachbataillon präsentierte währenddessen seinen Karabiner 98k, jene Waffe, die 13 Jahre zuvor abgegeben werden musste. Auch sonst hatte sich wenig geändert, seit König Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander I. bei Großgörschen (1813) vom Schlachtfeld ritten. Die russischen Soldaten beteten zum Zapfenstreich, jenem 1596 erstmals erwähnten Ritual, welches Trink- und Nachtruhe befahl. Dem Preußen gefiel die Zeremonie, und so wurde der Große Zapfenstreich seitdem in deutschen Königs- und Kaiserzeiten und Diktaturen gepflegt. Und heute in Demokratien.

Vom Auftakt mit dem "Yorckschen Marsch" über das Gebet "Ich bete an die Macht der Liebe" bis zur finalen Abmeldung zieht sich heute ein streng vorgeschriebenes Regiment, welches, von Fackelschein illuminiert, in seiner pathetischen Feierlichkeit und Starre etwas stark Einschüchterndes hat. Nicht umsonst steht der Zapfenstreich seit jeher in der Kritik von Antimilitaristen aller politischen Spektren. So verzichtete Bundespräsident Gustav Heinemann, in den 50ern vehementer Gegner der Wiederbewaffnung, bei seiner Verabschiedung 1974 auf die militärischen Ehren. Für ausgediente Kanzler war das "Helm ab! Zum Gebet!" stets unüblich, erst seit Helmut Kohls Abgang 1998 hat sich der Große Zapfenstreich für den Regierungschef eingebürgert.

Freiheit vom steifen Protokoll gibt es nur in Form der "Serenade", wenn sich die zu ehrende Person bis zu vier Beiträge wünschen darf. Sie sind die Gelegenheit, um beliebte Melodien zu hören oder auch heimliche Botschaften zu senden. So wählte Gerhard Schröder 2005 nicht unbedacht Kurt Weills "Moritat von Mackie Messer" und Frank Sinatras Version von "My Way" - ironische Brioni-Lässigkeit und die größte "Basta!"-Hymne der Popgeschichte. Johannes Rau blieb im Jahr zuvor noch klassisch mit dem Militärmarsch "Pomp And Circumstances" und Bachs Choral "Jesus bleibet meine Freude". Schröder aber führte nicht nur die Bonner Gemütlichkeit in die buntere Berliner Republik ein, sondern auch das "Tschingderassabum". Märsche sind zwar weiterhin gefragt, aber mindestens einen aus dem Buffta-Rahmen fallenden Song haben viele auf der Liste.

Aber ob nun "Fliegermarsch" und "Ode an die Freude" zum Besten gegeben werden oder "Smoke On The Water" - eines ist beim Großen Zapfenstreich immer gleich geblieben. Und dafür fand natürlich der britische Prinzgemahl Philip - bekanntlich der Horror für jedes Protokoll - 1965 auf Staatsbesuch in Deutschland die passenden Worte: "Das klingt, als hätte man ein seltenes Tier erlegt."