Bundesverfassungsgericht erlaubt auf Flughäfen und Bahnhöfen Versammlungen

Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht hat Demonstrationen am Frankfurter Flughafen erlaubt und damit das Grundrecht der Versammlungsfreiheit deutlich gestärkt. Dies gelte auch für Bahnhöfe, Häfen oder kommunale Einkaufszentren, wenn sich diese öffentlich genutzten Räume mehrheitlich in öffentlichem Besitz befinden, heißt es in dem gestern in Karlsruhe verkündeten Urteil.

Damit erhielt die Klägerin recht, die 2003 mit fünf Mitstreitern gegen die aus ihrer Sicht menschenunwürdigen Abschiebungen vom Frankfurter Flughafen demonstriert und dabei in der Abflughalle Flugzettel verteilt hatte. Die Fraport Aktiengesellschaft, die den Frankfurter Flughafen betreibt und deren Aktien zu 52 Prozent dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt gehören, hatte daraufhin unter Berufung auf ihr Hausrecht die Aktion untersagt und ein unbegrenztes "Flughafenverbot" verhängt.

So rigoros geht das aber nicht, urteilten die Karlsruher Richter. Wenn der Staat die Mehrheit der Gesellschaftsanteile halte, sei er an die Grundrechte gebunden und müsse die Versammlungsfreiheit achten - zumindest in den Bereichen des Flughafens, die als "Kauflandschaften" und "Erlebniswelten" gestaltet seien (Az.: 1BvR 699/06).

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte das Urteil. Das Gericht habe seine "beeindruckende Rechtsprechung" bestätigt und die Versammlungs- und Meinungsfreiheit gestärkt. "Demokratie lebt davon, dass Menschen sich einsetzen und ihre Meinung kundtun", sagte sie. "Das sollte daher an möglichst vielen Orten zugelassen werden."

Ulrich Karpen, Verfassungsrechtsprofessor an der Universität Hamburg, sagte dem Abendblatt: "Das Recht auf Demonstrationen, das durch Stuttgart 21 und die Gorleben-Proteste ohnehin einen Schub bekommen hat, ist noch einmal kolossal aufgewertet worden." Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit werde für die Bürger derzeit auch durch die Ereignisse in Tunesien, Kairo, Libyen oder im Jemen sichtbar.

Nach dem Karlsruher Urteil wiegt das Bürgerrecht schwerer als der Wunsch der Fraport AG, in den Einkaufszentren des Airports "eine Wohlfühlatmosphäre in einer reinen Welt des Konsums" schaffen zu wollen, die von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleiben soll. "Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt" der Flughafennutzer sei kein Grund, das Recht auf Versammlungsfreiheit einzuschränken. Dritte müssten die Konfrontation mit ihnen unliebsamen Themen hinnehmen.

Grundsätzlich seien Demonstrationen in Unternehmen der öffentlichen Hand zulässig, wenn die Räume der Öffentlichkeit allgemein zugänglich und nach dem "Leitbild eines öffentlichen Forums" organisiert seien. Dies gelte für Einkaufszentren oder Ladenpassagen in Bahnhöfen oder Häfen oder sonstige Begegnungsstätten. Demonstrationen dürften aber nur im öffentlich zugänglichen Bereich der Einrichtungen abgehalten werden - nicht etwa in Sicherheitsbereichen. Wegen der besonderen Anforderungen an die Sicherheit können die Behörden zudem Auflagen zur Anzahl der Demonstranten machen oder laute Trillerpfeifen verbieten. In rein funktionalen Einrichtungen wie Theatern, kommunalen Krankenhäusern oder Landesbanken bleibe es beim Demonstrationsverbot.

"Für Hamburg bedeutet das, dass künftig auch am Flughafen oder am Hauptbahnhof in bestimmten Bereichen demonstriert werden darf", sagte Karpen. Die Abgrenzung, was ein öffentlich zugänglicher Raum sei, könne aber schwierig werden. Und: "Wie wollen Sie etwa das Übergreifen einer Demonstration im Bereich der Flaniermeile am Hauptbahnhof auf den Betrieb auf dem Bahnsteig verhindern?"

Karpen verwies zudem darauf, dass es schwierig werden könne, "im Zeitalter des Terrorismus hochsensible Infrastruktur-Einrichtungen zu schützen und dort gleichzeitig Demonstrationen, so weit es geht, zuzulassen". Im Einzelfall müsste das Verwaltungsgericht Hamburg entscheiden, wo demonstriert werden darf, sagte Karpen. "Da wird einige Arbeit auf die Verwaltungsgerichte zukommen."