Selten ist eine Landtagswahl so klar ausgegangen wie in der Hansestadt. Die SPD kann ihr Glück kaum begreifen, die CDU ringt um Fassung.

Berlin. Der Kantersieg für die SPD lässt die Sozialdemokraten in der Hauptstadt auf weitere Erfolge im Superwahljahr hoffen - und beschert ausgerechnet Parteichef Sigmar Gabriel einen neuen mächtigen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur 2013. Die CDU dagegen müht sich, die Blamage auf die Hamburger Stadtgrenzen herunterzuspielen. Das sei kein Stimmungstest für die weiteren Wahlen, sind sich die Christdemokraten einig. Bei den Grünen ist man dagegen trotz Stimmenzuwächsen zerknirscht, dass es wohl auf eine Oppositionsrolle hinauslaufen wird. Die Linke ist zufrieden mit ihrem Abschneiden - am besten geht es jedoch der FDP. Die Liberalen feiern ihre Auferstehung. Ein Stimmungsbild aus den Berliner Parteizentralen am Wahlabend:

Auf dem Podium ist kein Zentimeter mehr frei. Bei diesem denkwürdigen Sieg wollen sich auffallend viele führende Sozialdemokraten feiern lassen - und so quetscht sich die SPD-Prominenz auf die Bühne. Nicht nur Parteichef Gabriel zeigt sich den Anhängern im Willy-Brandt-Haus, auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Vize-Parteichefin Manuela Schwesig. Sie strahlen um die Wette, als Gabriel vom "Rückenwind aus Hamburg" für die weiteren Landtagswahlen in diesem Jahr spricht. Im Willy-Brandt-Haus hat man schließlich eine halbe Ewigkeit nicht mehr so jubeln dürfen. Und doch - ausgelassen ist die Stimmung nicht. "Wir wissen diese Wahl schon einzuordnen", sagt ein junger Parteigänger. Soll heißen: In der Parteizentrale vergisst man auch an einem Abend wie diesem nicht, dass die SPD im Bund in den Umfragen mit 22 Prozent nach wie vor am Boden liegt. Auf dem Podium steht ganz am Rand auch Nils Schmid, der junge SPD-Spitzenkandidat der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Er lächelt verlegen bei Gabriels vor Optimismus so strotzenden Worten. In seinem Land ist die SPD in Umfragen nur noch drittstärkste Kraft.

"Völlig irreal" sei das Hamburger Ergebnis, sagt ein älterer SPD-Anhänger. Das habe wohl mit dem Kandidaten zu tun, versucht er sich den politischen Erdrutsch zu erklären. Olaf Scholz, der neben seinem Amt als Parteivize in Zukunft als einer der mächtigsten Regierungschefs der Sozialdemokraten gelten dürfe, sei natürlich auch "einer für den Bund", sagen die Anhänger im Willy-Brandt-Haus. Als Gabriel im ZDF gefragt wird, ob Scholz nun mehr Gewicht in der Bundespolitik haben werde und nun Kanzlerkandidat werden könne, versucht es der SPD-Chef mit Humor: "Wenn das so weitergeht, haben wir irgendwann 16 Kanzlerkandidaten." Scholz sei bereits jetzt "in der Bundespolitik ein großes Schwergewicht".

Am Ende eines grauenvollen Abends will auch Eckart von Klaeden noch einmal lachen. "Trotz des Ergebnisses ist Hamburg eine wunderschöne Stadt", sagt der Staatsminister im Bundeskanzleramt und kichert über sich selbst. Der frühere Bundesschatzmeister der CDU ist einer der ganz wenigen Parteiprominenten, die nach der Wahlkatastrophe von Hamburg in der Parteizentrale ausharren. Fast scheint es, als wolle er deutlich zeigen, dass immerhin einer aus dem Kanzleramt an so einem Abend Gesicht zeigt. Bundeskanzlerin und Parteichefin Angela Merkel überlässt die Bühne in diesen Stunden lieber von Klaeden und ihrem Generalsekretär Hermann Gröhe. "Natürlich hätten wir uns einen schöneren Auftakt in das Wahljahr gewünscht", sagt Gröhe im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses. Er sei dennoch optimistisch für die kommenden Wahlen. Nichts anderes kann er jetzt sagen.

Man hatte sich in der Bundes-CDU auf eine Schlappe vorbereitet. Und doch sitzt der Schock bei den Anhängern tiefer als befürchtet. In die Zentrale sind ohnehin nur einige Dutzend gekommen. Dass es nichts zu feiern gebe, wussten sie schon vorher.

Da hilft es wenig, dass Gröhe nun die Grünen noch einmal angreift. Ein bisschen mehr hilft es dagegen der Partei, dass die Wahlforscher das Ergebnis zu 80 Prozent auf Hamburger Themen zurückführen. Wehe, man leite hier einen Dämpfer für den Bund ab. Auf die Wahlkämpfe in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz soll die Katastrophe von Hamburg keine Folgen haben. Und selbst die Wahlanalyse fällt knapp aus. "Christoph Ahlhaus ist es nicht gelungen, in kurzer Zeit sich so zu profilieren, wie er es verdient hätte", ist von Klaeden überzeugt. Einen Schuldigen will er damit trotzdem nicht ausgemacht haben. Er meint, auch Ole von Beust solle man keinen Vorwurf machen. Schnell abhaken, ist das unausgesprochene Motto des Abends.

Die Rechnung der Grünen ist nicht aufgegangen. Und das wissen alle, die am Abend in die Parteizentrale gekommen sind. Die erste von sieben Landtagswahlen ist gelaufen und sie hat trotz eines Umfragehöhenfluges der Bundes-Grünen nicht das gewünschte Resultat gebracht. Deshalb ist von Feierlaune keine Spur - auch wenn das Plakat am Eingang eine "Wahlparty" verspricht. Sicher, das Ergebnis empfindet man in der Partei als respektabel - schließlich ist es besser als bei der Wahl 2008. Aber klar ist auch: Die Hamburger Grünen haben sich verzockt. Aus einer selbst aufgekündigten Regierungsbeteiligung heraus sind sie nun wieder in der Opposition gelandet. Als die ersten Hochrechnungen laufen, nimmt man sie nüchtern zur Kenntnis. Während mit Cem Özdemir der eine Vorsitzende die Parteifreunde in Hamburg unterstützt, hält Co-Chefin Claudia Roth in Berlin die Stellung. Das Abschneiden der GAL bezeichnet sie als ein "ordentliches Ergebnis unter schwierigsten Hamburger Wahlbedingungen". Sie will nach vorn blicken. "Jetzt geht es volle Kanne. Jetzt wollen wir in den Bundesländern in den Landtag einziehen, in denen wir noch nicht drin sind."

Nur wenige Parteifreunde sind in Berlin zusammengekommen. Ein gutes Dutzend beobachtet zerknirscht die Balkendiagramme. "Das ist natürlich ein Dämpfer", sagt einer von ihnen. Trotzdem: So richtig abfinden will man sich hier mit dem Ergebnis noch nicht. Die Hoffnung, dass die GAL vielleicht doch mit der SPD koaliert, wollen sich manche Grüne bis zum absoluten Endergebnis erhalten. Das meistgesagte Wort des Abends lautet: "abwarten".

Die Spannung hält bis zur letzten Minute. Als um kurz nach 18 Uhr die ersten Prognosen bekannt gegeben werden, müssen die FDP-Anhänger im Thomas-Dehler-Haus ein bisschen länger warten als der Rest. Erst werden die Ergebnisse der anderen Parteien verlesen. Schweigen bei den Werten für die CDU, ein Raunen für die SPD - dann Grüne und Linke und schließlich die Gewissheit: Die Hamburger Liberalen haben es wieder in die Bürgerschaft geschafft. Es gibt Applaus und Jubel, der mehr als eine Minute anhält.

Für die FDP ist dieser Wahlabend ein Triumph: Zum ersten Mal seit der deutschen Einheit sind die Liberalen in allen Länderparlamenten vertreten. Noch vor Wochen, als die Bundesrepublik über die Zukunft von Parteichef Guido Westerwelle diskutierte und die Umfragewerte auf ein historisches Tief von drei Prozent abgestürzt waren, hätte man das hier nicht für möglich gehalten. Deshalb tritt jetzt auch ein strahlender Westerwelle vor die Parteifreunde. "Wenn die FDP kämpft, entschlossen ist und geschlossen ist, dann gewinnen wir Liberalen die Wahl", sagt er. Die FDP freue sich über einen "großartigen Erfolg", der hart erarbeitet und verdient sei. Dies sei eine Ermutigung und ein Ansporn für die sechs kommenden Landtagswahlen. Lange hat man den Parteichef nicht so entspannt gesehen.

Gesine Lötzsch ist zufrieden: Bei der Wahlparty der Linken im Karl-Liebknecht-Haus spricht sie von einem tollen Ergebnis ihrer Partei in Hamburg. "Wir gewinnen Wahlen", sei das Signal auch für die kommenden Landtagswahlen, stellt die Parteichefin vor euphorisierten Genossen klar. Das Ergebnis gebe den Wahlkämpfern ordentlich Rückenwind. Den Hamburgern verspricht Lötzsch eine starke linke Opposition. Von der Parteikrise will man an diesem Abend nichts mehr wissen.