Zitiert ist längst nicht kopiert. Über die richtige Quellenangabe und künstlerische Freiheit im Lichte der Guttenberg-Debatte - mit Fußnoten.

Egon Friedell wird immer wieder gerne zitiert, wenn mal wieder heftig über einen Fall von geistigem Diebstahl debattiert wird. Friedell, der einflussreiche Verfasser der "Kulturgeschichte der Neuzeit" (1), behauptete einst: "Die ganze Geistesgeschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Diebstählen." Ein Satz, den man zum einen in Stein meißeln möchte, er klingt so herrlich kompromisslos.

Zum andern ist er leicht zu merken, und er ist universell anwendbar in akademischen Kreisen: Alles nur geklaut - na und! Wobei nur derjenige dazugehören darf, der mit dem Ausspruch augenzwinkernd unbewusste intellektuelle Antriebe kommentiert. Wer in der Wissenschaft, aber auch in der Kunst dreist abkupfert, wird ausgeschlossen. Oder findet sich vor Gericht wieder - das vor allem, wenn es um die Belange der schönen Literatur geht. Dort wird regelmäßig "Plagiat" geschrien, wenn sich ein Autor um die Früchte seiner Geisteskraft gebracht fühlt.

Das ist besonders oft der Fall, wenn ein anderer, der wirkliche oder vermeintliche Dieb, auf dem Felde, das der Kläger selbst bestellt, großen Erfolg hat. Bestsellerautoren wie Dan Brown und Frank Schätzing sahen sich bereits mit Klagen von Sachbuch-Verfassern und Wissenschaftlern konfrontiert, weil sie sich bei der Gestaltung ihrer Fiktionen in der Fachliteratur bedienten. Die Krimi-Autorin Andrea Maria Schenkel war vor vier Jahren ebenfalls einer Klage wegen Urheberrechtsverletzung ausgesetzt: Sie soll sich in ihrem Verkaufsschlager "Tannöd", der auf einem Kriminalfall aus den 50er-Jahren basiert, ebenfalls in einem Sachbuch bedient haben.

Der Fall Karl-Theodor zu Guttenberg wird nach Stand der Dinge nicht vor Gericht entschieden, sondern im Promotionsausschuss der Universität Bayreuth. Keiner der vom Verteidigungsminister ohne Namensnennung Zitierten will sich, wie es zur Zeit aussieht, auf den Rechtsweg begeben: Zu Guttenberg scheint gestraft genug mit dem vor der Öffentlichkeit genüsslich ausgebreiteten Fehltritt. Und da schnöde Dissertationen auch eher keine Bestseller werden, dürfte auch niemand auf einen Geldsegen spekulieren (obwohl: Guttenbergs Doktorarbeit ist ausverkauft - immerhin 400 Exemplare gingen weg, das schafft nicht jeder Forscher). Dass der Baron sich darauf berufen kann, in mancherlei Hinsicht nur eine, nun denn, Fußnote in der Literatur- und Kulturgeschichte des Plagiats zu sein, dürfte ihn wohl kaum trösten.

Das Abschreiben und seine Geißelung als unrechtmäßiger und sittenwidriger Klau ist übrigens ein Phänomen, das erstmals bei den ollen Griechen auftrat. Man hätte es fast geahnt: In die Wiege unserer Kultur betten sich selbstverständlich alle Hervorbringungen dieser Zivilisation, und dazu zählen nun einmal auch die als negativ aufgefassten, die nachgeahmten und unschöpferischen. Das Athen des fünften vorchristlichen Jahrhunderts also war der Ort, an dem Abschreiben, das es auch vorher schon gegeben hatte, mit einem Male als Skandal aufgefasst wurde. Der früheste Plagiatsfall spielte sich am Theater ab. Dort soll es der Komödiendichter Aristophanes gewesen sein, der 427 vor Christus seinem Kollegen Eupolis Ideen für ein Stück stahl. Wie heute gab es damals im literarischen Betrieb genug Zank und Neid. Was wohl immer entsteht, wenn sich Menschen in einem Konkurrenzverhältnis befinden. Wobei natürlich im Bereich der Literatur ganz andere Gesetzmäßigkeiten herrschen als in der Wissenschaft, wo zum Beispiel die Promotionsordnung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth folgendes fordert: "Die benutzte Literatur und sonstige Hilfsquellen sind vollständig anzugeben; wörtlich oder nahezu wörtlich dem Schrifttum entnommene Stellen sind kenntlich zu machen."

In der Kunst geht es weitaus weniger eindeutig zu. Wie könnte eine literarische Schöpfung völlig im luftleeren Raum entstehen? Wie könnte ein literarischer Schreibprozess ohne Inspiration ablaufen, die sehr bewusst (wenn sich der Autor deutlich auf einen bereits existierenden Text bezieht) sein kann oder eben unbewusst (wenn Wahrnehmungen dem eigenen Schreiben unwillkürlich anverwandelt werden)?

"Das literarische Werk ist ein Rohstoff und Gut, welches in wechselnder Gestalt verschiedenen Bearbeitern und Besitzern dienstbar werden kann, und darum höchst ungeeignet, Eigentumswerte zu sichern." (2)

Zurück zu den Griechen: Dort erzählte der Dichter Aesop einst ein Gleichnis, das später auch der Römer Phaedrus aufgriff. "Einst lebte eine Dohle, voll von eitlem Stolz, die stahl sich Federn, die dem Pfau entfallen warn, und putzte sich damit." (3) Die Dohle kann niemandem weismachen, die fremden Federn seien ihre eigenen: Das glauben weder die Pfauen noch die Dohlen.

Es ist also nicht lohnenswert, sich mit fremden Federn zu schmücken, lehrt Aesops Gleichnis. Karl-Theodor zu Guttenbergs Schicksal, das durchaus etwas Tragisches hat, belegt dies derzeit eindrucksvoll. Gleiches galt vor etwa einem Jahr, als das Berliner Fräuleinwunder Helene Hegemann in ihrem Debütroman "Axolotl Roadkill" recht zwanglos den Internet-Blogger Airen zitierte und mit dessen Beschreibungen des Berliner Nachtlebens ihrem Buch eine Erfahrungstiefe gab, die die Autorin selbst eher nicht hatte. Die Kritiker riss dieses Werk einer Frühberufenen und ziemlich kaputten Heldin hin. (3) Groß war der Skandal, als Hegemanns Klau ruchbar wurde und die Autorin im Anschluss auch noch die Chuzpe hatte, die Zugehörigkeit zu einer Generation zu reklamieren, die ein anderes Verständnis von geistigem Eigentum hat als ihre Vorgänger. "Das, was wir machen, ist eine Summierung aus den Dingen, die wir erleben, lesen, mitkriegen und träumen. Ich bin nur Untermieter in meinem eigenen Kopf", befand die damals 17-Jährige. Clever! In der digitalen Welt der vernetzten Computer gehört eben allen alles, und die Kommunikationsgesellschaft ist schrankenlos.

Wo copy and paste in Zeiten des Internets tatsächlich kulturell verrohend in Sachen Urheberrecht wirkt, haben freilich auch schon die Altvordern bisweilen eine laxe Haltung bezüglich ihrer Inspirationsquellen gepflegt. Bertolt Brecht verwandte im Jahr 1928 für seine "Dreigroschenoper" Verse des Franzosen François Villon (in der Übersetzung von Karl L. Ammer) und wurde dessen überführt. Was ihn zu einer schönen Sentenz verleitete: "Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht, auch ich hab mir was herausgenommen."

Literaturwissenschaftler sprechen übrigens gerne von "Intertextualität", wenn sie die Wechselwirkung poetischer Texte meinen. Auf diese Intertextualität kann sich im Zweifel jeder Plagiator berufen, ohne dass man dies für plausibel halten muss.

Plagiate und Plagiatsdebatten gibt es, wie oben ausgeführt, seit 2500 Jahren, aber nie wurde denen, die den Kopierern auf der Spur sind, die Arbeit so einfach gemacht wie heute. Computertechnik erlaubt es, Texte auf ihre (mangelnde) Originalität hin zu scannen. Womit umgekehrt die Versuchung heute noch größer ist als früher, sich Arbeit zu sparen und die Gedanken anderer zu verwenden.

Plagiatsjäger gab es auch schon früher, und so kommen wir endlich auf ein Werk, dessen Inhalt diesem Artikel in seiner Gesamtheit einen geistigen Hintergrund gibt. Denn es ist der Germanist Philipp Theison, der in seinem Buch "Plagiat" (5) auf wunderbar kundige Weise vom Schreiben und Abschreiben im Wandel der Zeiten berichtet. Dass das Referenzsystem Sprache einen ganz verrückt machen kann, führt er dabei ausgerechnet an einem Hamburger Zeitgenossen vor. Um 1890 begab sich der hiesige Anatom Paul Albrecht auf eine nachgerade manische Suche nach geklauten Stellen im Werk Gotthold Ephraim Lessings. Dieses Werk, bestehend aus Prosastücken, Dramen und Gedichten, war groß. So groß, dass der fremdenfeindliche Hamburger, der den großen Dichter unter anderem als slawischstämmig brandmarken wollte ("Leszing's Plagiate"), seine Arbeit auf zehn Bände anlegte. Resultat seines abstrusen Treibens, das am Ende immerhin sechs Bände zeitigte: Lessing hatte keinen einzigen eigenen Gedanken.

Wer nur Eigenes gelten lässt und nichts Gestohlenes, der wird im Zeitalter des Epigonalen und Zitierten nichts Zeitgenössisches finden, was dieser Setzung standhält.

Wer in der Kulturgeschichte des Plagiats zurückblättert, findet im Hinblick auf einen Beklauten auch ein Zeugnis bemerkenswerter Souveränität: Als Miguel de Cervantes beim Verfassen des zweiten Teils seiner Ritterroman-Parodie mit ansehen musste, dass "eine apokryphe (von zweifelhaftem Ursprung, Anm. d. Verf.) Fortsetzung des Don Quijote (kursiv im Original) von Alonso Fernández de Avellaneda" (6) erschien, baute er dieses Plagiat einfach in sein Werk mit ein. Eine schöne Pointe.

Wer weiß, ob derlei spielerischer Umgang schon einmal auf dem Feld der Wissenschaft erprobt wurde. Wo die Literatur mit den Vorbildern nachlässiger umgehen kann (Entlehnungen geben einem Text eine literarische Tiefe!), ist in der Wissenschaft die Zitiersünde eine Todsünde, wie nicht erst der prominente Mann am universitären Pranger gerade leidvoll erfahren muss.

Fremde Federn schmücken nun mal nicht. Vielleicht weiß das nur der wirklich, der den Beweis dessen selbst einmal im Spiegel betrachten musste.

1 Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Weltkrieg . 3 Bde. Beck, München 1927-31; so müsste dieser Titel zitiert werden, handelte es sich bei diesem Text um eine wissenschaftliche Arbeit.

2 Alexander Honold: Alles nur geklaut , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.2.2010.

3 Aesop: Gleichnisse , irgendwo in Griechenland 6. Jhd. v. Chr.; zitiert nach Josef Tutsch: Dohlen im Pfauenkleid , in: Scienzz Magazin. Stand: 17.7.2009. URL: http://www.scienzz.de/magazin/art10844.html (abgerufen am 18.2.2011)

4 Vgl. auch Thomas Andre: Repräsentantin einer verlorenen Generation , in: Hamburger Abendblatt v. 27.1.2010.

5 Philipp Theison: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte , Stuttgart 2009.

6 Anonymus: Ringvorlesung Europäische Romane: Miguel de Cervantes Saavedra - Don Quichote de la Mancha . URL: http://www.literaturwissenschaft-online.de (abgerufen am 18.2.2010)