Industriepräsident Hans-Peter Keitel über Großprojekte, Gefahren für den Euro und die Zukunft der Sonnenenergie

Essen. Er ist ein Mann der klaren Worte und hat keine Scheu, sich mit der Bundesregierung anzulegen: Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), formuliert im Abendblatt-Interview, was er im Superwahljahr von Schwarz-Gelb erwartet.

Hamburger Abendblatt:

Herr Keitel, Sie haben der schwarz-gelben Regierung einmal Orientierungslosigkeit und mangelnde Ernsthaftigkeit attestiert. Nehmen Sie die Kritik jetzt zurück?

Hans-Peter Keitel:

Wir haben in gleicher Weise anerkannt, dass die Regierung seit der Sommerpause ernsthafter agiert hat als in ihren ersten Monaten. Aber aktuell lässt sich an die Kritik wieder anknüpfen: Um Hartz IV reizen Regierung und Opposition taktische Positionen aus, statt zeitgerecht eine vom Bundesverfassungsgericht klar umrissene Aufgabe zu lösen.

Worauf kommt es im Superwahljahr an?

Keitel:

Deutschland hat international eine außerordentlich gute Position. Sie beruht wesentlich auf der Stärke der deutschen Industrie, die unglaublich kraftvoll aus der Krise herausgekommen ist. Dafür verlangen unsere Unternehmen keine Dankbarkeit, aber das klare politische Bewusstsein, dass diese Basis hart erarbeitet ist und nicht aus taktischen Gründen verspielt werden darf. Es ist bedenklich, wenn schon vor der ersten Wahl dieses Jahres der Eindruck entsteht, dass es mehr um Wahlkampf als um vernünftige Sacharbeit geht.

Eine zentrale Aufgabe wird die Rettung des Euro sein. Brauchen wir eine europäische Wirtschaftsregierung, wie sie Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy anstreben?

Keitel:

Die Euro-Krise hat gezeigt, dass wir zur gemeinsamen Währungspolitik auch eine abgestimmte Finanz- und Wirtschaftspolitik brauchen. Wir sind aber gegen eine zentralistisch gelenkte Wirtschaftsregierung.

Was schwebt Ihnen vor?

Keitel:

Unsere soziale Marktwirtschaft hat sich gerade in der Krise bewährt. An wichtigen Randbedingungen wie der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse oder dem Thema längere Lebensarbeitszeit - Stichwort Rente mit 67 - könnten sich andere Staaten der Euro-Zone orientieren.

Sehen wir die Milliarden, mit denen wir Griechenland stabilisiert haben, jemals wieder?

Keitel:

Wenn ich das genau wüsste, würde ich wahrscheinlich an der Börse entsprechende Order geben. Wir erleben erstmals im europäischen Raum, dass Zweifel bestehen, ob Staaten ihre Schulden tatsächlich zurückzahlen. Die Politik ist gefordert, nicht endlos zu diskutieren, sondern die Zweifel schnell und nachhaltig auszuräumen. Ein denkbares Instrument, um die Märkte zu beruhigen, ist die Umschuldung.

Angesichts der Euro-Krise müssten Sie ganz froh sein, dass die Bundesregierung das Sparen zum obersten Gebot erhoben hat ...

Keitel:

Haushaltskonsolidierung ist unerlässlich. Aber sie muss intelligent sein. Wir müssen die Vorgaben der Schuldenbremse im Grundgesetz erfüllen, ohne die öffentliche Investitionstätigkeit abzuwürgen. Wir müssen Prioritäten setzen, wo investiert werden soll. Manche öffentlichen Investitionen lassen sich durch attraktive Modelle besser und solider privat finanzieren. Von Straßen über Energienetze bis zum Breitband für schnelle Datenübertragung gibt es genügend Projekte, für die privates Kapital zur Verfügung steht.

Welche Investitionen schweben Ihnen in Norddeutschland vor?

Keitel:

Wir haben einen beträchtlichen Investitionsstau gerade im Norden. Vor über 20 Jahren war ich bei Hochtief zuständig für das Thema Fehmarnbelt. Schon damals ging es übrigens um einen Tunnel, den man jetzt nach zwei Jahrzehnten Irrungen und Wirrungen wieder entdeckt. Privat wäre das Projekt längst umgesetzt. Ein anderes Beispiel ist die Anbindung des Hamburger Hafens. Seine internationale Bedeutung hängt nicht nur von der Elbvertiefung, sondern auch von den Verbindungen mit dem Hinterland ab. Das ist ein ganz entscheidender Engpass.

Sie gelten als Befürworter einer Pkw-Maut. Sollte Verkehrsminister Ramsauer das Thema auf die Tagesordnung setzen?

Keitel:

Momentan ist das kein Thema - auch wenn es schon mal Konsens war, dass wir eine nutzerabhängige Verkehrsfinanzierung brauchen.

Ein interessantes Wort für Maut.

Keitel:

Maut ist ein Reizwort. Da denken viele nicht an intelligente Lösungen, sondern an Mauthäuschen und Abkassiererei. Nutzerabhängige Verkehrsfinanzierung muss gegen pauschale Abgaben abgewogen werden und streng zweckgebunden sein für zusätzliche Verkehrsinvestitionen.

Die EU will die Energienetze in der Gemeinschaft für 200 Milliarden Euro ausbauen - und die Verbraucher dafür zahlen lassen. Was machen eigentlich die Energiekonzerne mit ihren satten Gewinnen?

Keitel:

Ich empfehle einen Blick auf die wenig erfreuliche Börsenentwicklung der Energieversorger. Das ist keine Not leidende Branche. Aber der Aktienmarkt spiegelt deutlich wider, dass das Märchen von sprudelnden Unternehmensgewinnen, die man locker investieren könnte, an der Realität vorbeigeht. Jede einzelne Investition muss sich rentieren. Im Übrigen: Einen erklecklichen Teil des Strompreises zahlen die Verbraucher nicht an die Energieversorger, sondern an die Staatskasse. Die Energiepreise sind in Deutschland deswegen so hoch, weil Energiesteuern, Abgaben und Kosten für die Förderung der erneuerbaren Energien so hoch sind. Sie machen aktuell fast die Hälfte des Strompreises aus.

Die Bürger wehren sich jetzt schon gegen neue Stromtrassen - und die EU will als Nächstes die Genehmigungsverfahren verkürzen. Stuttgart 21 könnte bald überall sein ...

Keitel:

Wir dürfen Stuttgart 21 nicht überhöhen. Da wirken Mechanismen, die mit dem eigentlichen Projekt nur noch am Rande zu tun haben. Wir haben eine Schlichtung gehabt. Trotzdem machen manche Gegner so weiter, als sei nichts geschehen. Es ist diese Art von unbelehrbarem Protest, die eine wachsende Zahl von Bürgern einfach nur daneben finden.

Was lehrt Stuttgart 21?

Keitel:

Dass der Sinn von Großprojekten besser und früher diskutiert werden muss.

Kohle, Atom, Wind, Sonne - welche Energieform hat die größte Zukunft in Deutschland?

Keitel:

Wir brauchen weiter einen Energiemix. Der Anteil der regenerativen wird deutlich zunehmen. Aber die erneuerbaren Energien, die wir heute in Deutschland überwiegend haben, stehen noch nicht zuverlässig zur Verfügung. Für Sonnen- und Windenergie fehlen die Speicherkapazitäten. Daher kommen wir an konventionellen Energien wie Kohle, Gas oder Kernkraft nicht vorbei.

Andere Industrieländer bauen neue Atomkraftwerke. Verabschiedet sich Deutschland zu früh aus der Kernkraft?

Keitel:

Über neue Kernkraftwerke brauchen wir gar nicht mehr zu diskutieren. Das Thema ist in Deutschland gesellschaftlich nicht durchsetzbar. Jetzt gilt es, die restlichen Laufzeiten der bestehenden Kernkraftwerke sicher und sinnvoll zu nutzen.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll in diesem Jahr überarbeitet werden. Worauf kommt es dabei an?

Keitel:

Die Solarenergie braucht keine Anschubförderung mehr. Der Durchbruch ist längst gelungen. In Süddeutschland dienen viele Scheunen nur noch als Dachständer für Solaranlagen.

Umweltminister Röttgen hat angekündigt, die Solarförderung um bis zu 15 Prozent zu kürzen ...

Keitel:

... was die Solarindustrie ja selbst angeboten hatte. An diesem Punkt kann die Diskussion nicht enden. Es geht ja um gewaltige Summen für viele Jahre. Hier stimmt etwas nicht! Es ist nicht Sache der öffentlichen Hand, den Markt zu ersetzen. Das Steuergeld könnte sinnvoller in die Energieinfrastruktur investiert werden.

Herr Keitel, Sie waren lange Vorstandsvorsitzender von Hochtief und sind jetzt im Aufsichtsrat des Baukonzerns. Wie viele Frauen gibt es an der Spitze?

Keitel:

Weniger als wir gerne hätten.

Unterstützen Sie die Bundesarbeitsministerin von der Leyen, die eine gesetzliche Frauenquote für Unternehmen anstrebt?

Keitel:

Nein, die Quote ist eine verkappte Situationsbeschreibung und keine Antwort auf gesellschaftliche Fragen, um die sich die Unternehmen längst ernsthaft und nicht ganz erfolglos bemühen. Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ein Umfeld, das es Frauen nicht leicht macht, Familie und Karriere in Übereinstimmung zu bringen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Keitel:

Es gibt viele Ursachen für den geringen Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten. Die kann der Gesetzgeber nicht durch statistische Vorgaben beseitigen. Die Lösung dieser Herausforderungen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zum Beispiel brauchen wir mehr Kindertagesstätten und Ganztagsschulen.Wir müssen die Ausbildung von Frauen in den technischen Fächern fördern. Da müssen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam ran - durch Sacharbeit, nicht durch wohlklingende Vorgaben für den jeweils anderen.

Die freiwillige Selbstverpflichtung, die seit zehn Jahren gilt, hat jedenfalls nicht viel bewirkt.

Keitel:

Das sehe ich nicht so negativ. Auf den mittleren und oberen Führungsebenen hat sich der Frauenanteil durch die Vereinbarung bereits verdoppelt. Die Unternehmen haben doch ein ureigenes Interesse daran, die Beteiligung von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten zu erhöhen. Es ist gut, wenn Unternehmen sich dafür selbst verbindliche Ziele setzen.