Netzausbau wäre “billige Ausrede“ für teureren Strom, sagt Parteichef Özdemir

Berlin. Grünen-Chef Cem Özdemir hat die Energieversorger ermahnt, Investitionen in neue Netze nicht an die Verbraucher weiterzugeben.

"Der Ausbau der Stromnetze in Europa ist überfällig. Das dürfen die großen Energiekonzerne aber nicht wieder als billige Ausrede für Preiserhöhungen benutzen", sagte Özdemir dem Hamburger Abendblatt. "Wenn die Energiekonzerne die zunehmende Verbilligung des Stroms an den Märkten durch das rasante Wachstum der Erneuerbaren in den letzten Jahren an die Stromkunden weitergeben würden, würden die Kosten für den Netzausbau für die Verbraucher nicht so ins Gewicht fallen."

Zuvor hatte EU-Energiekommissar Günther Oettinger die Erwartung geäußert, die auf dem jüngsten Gipfel der Staats- und Regierungschefs beschlossene Erweiterung der europäischen Energienetze werde zu einer spürbaren Steigerung der Strompreise führen. Es gehe "um ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde", sagte Oettinger im Abendblatt-Interview. In seinen Augen können die Energiekonzerne den Netzausbau nur bewältigen, wenn sie die Verbraucher an den Kosten beteiligen. Trifft die Prognose des EU-Kommissars zu, müsste eine Familie mit einem Durchschnittsverbrauch von 4500 Kilowattstunden pro Jahr rund 90 Euro mehr für ihren Strom zahlen.

Der Energieexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband, Holger Krawinkel, rechnet indes für Deutschland mit Mehrkosten von lediglich 0,5 Cent pro Kilowattstunde. Mehr Ökostrom, Wettbewerb und die Entwicklung eines europäischen Binnenmarktes könnten preisdämpfend wirken.

Aus der EU-Kommission verlautete, die Belastung mit Steuern und Abgaben sei in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Das mache 41 Prozent des Strompreises aus, hieß es mit Blick auf Zahlen vom zweiten Halbjahr 2009. Der Steueranteil in der gesamten EU mit 27 Staaten habe nur 26 Prozent betragen.

Auf Deutschland sollen 40 Milliarden der geplanten 200 Milliarden Euro an Netzinvestitionen entfallen. Nach Angaben der Deutschen Energieagentur sind in den nächsten Jahren 3600 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen in Deutschland notwendig, um etwa Windstrom von der See in den Süden zu schaffen. Hinzu kommt ein hoher Bedarf an neuen Verteilnetzen.

Grünen-Chef Özdemir kritisierte die Energiepolitik der schwarz-gelben Bundesregierung scharf: "Mehr Wettbewerb im Energiebereich statt Zementierung des Oligopols der vier Energiekonzerne, wie es Union und FDP mit ihrem Setzen auf Atom und Kohle betreiben, würde die Stromkosten zusätzlich senken. Ganz zu schweigen von den obszönen Milliardenprofiten, welche die Energiekonzerne durch die schwarz-gelben Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke einstreichen."