Politik und Wirtschaft unterzeichnen Selbstverpflichtung für flexiblere Arbeitszeiten

Berlin. Die Bundesregierung drängt die Wirtschaft zu familienfreundlicheren Arbeitszeiten. "Familie und Beruf sind in der Praxis oft noch ein Widerspruch - das darf und muss nicht sein", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Spitzenvertretern aus Wirtschaft, Verbänden und Gewerkschaften. "Familienerfahrung darf auf dem Arbeitsmarkt nicht länger als Störfaktor gelten", mahnte die Kanzlerin. Angesichts des demografischen Wandels sei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Zukunftsfrage für den Erfolg der Wirtschaft. Merkel sagte, Fortschritte hierbei seien auch ein Schlüssel, um mehr Frauen in Führungspositionen der Unternehmen zu bringen. Dass sie dort so rar sind, sei "ein ziemlicher Skandal".

Dennoch will Merkel der Wirtschaft "noch eine Chance geben" und zudem persönlich bei den Firmenchefs für dieses Anliegen werben. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften unterzeichneten gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) eine "Charta für familienbewusste Arbeitszeiten". Politik und Wirtschaft wollen sich so zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf verpflichten. Eine gesetzliche Regelung ist vorerst nicht vorgesehen. 2013 sollen die Fortschritte überprüft werden "Seien Sie kreativ, sonst werden wir kreativ sein", sagte Merkel in Richtung der beteiligten Unternehmen.

Familienministerin Schröder geht es nach eigenen Worten darum, "praxiserprobte Vorbilder" zu präsentieren statt theoretischer Konzepte. Ziel der Charta ist es, die "Alternative Halbtagsjob oder starre Vollzeitstelle" aufzugeben und stattdessen flexiblere Arbeitszeitmodelle zu nutzen, die sich auch für Führungspositionen eigneten. Für die Beschäftigten seien diese der "Dreh- und Angelpunkt": "Halbtags" oder "von acht bis fünf" widersprächen den Wünschen der meisten Mütter und Väter. Sie wollten vor allem, dass ihre eigene Situation zu Hause berücksichtigt und individuelle Lösungen gefunden würden.

"Flexible und familienbewusste Arbeitszeiten sind ein ganz zentrales Thema", sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, dem Hamburger Abendblatt. "Die deutsche Gesellschaft altert und schrumpft. Deshalb muss man mit dem Erwerbspotenzial darin sehr sorgfältig umgehen." Die Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei für Arbeitnehmer sehr bedeutsam - und wer innovatives und kreatives Potenzial in seinem Unternehmen haben wolle, müsse hier gut aufgestellt sein.

Von gesetzlichen Maßnahmen hält Hüther jedoch nichts. "Jedes Unternehmen sollte die entsprechenden Instrumente individuell auf die Präferenzen der Arbeitnehmer anwenden können." Hilfreiche Maßnahmen seien Teilzeit, betriebliche Kindergärten und vor allem auch die Telearbeit. "Die technischen Möglichkeiten bieten da einige Freiheiten", so Hüther.

"Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle sind ein wichtiger Ansatzpunkt, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können", sagte auch der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, dem Abendblatt. Mütter könnten ihre Erwerbswünsche aufgrund der Arbeitsorganisation in den Betrieben häufig jedoch nur teilweise umsetzen. Laut einer IAB-Studie hätten drei Viertel der privatwirtschaftlichen Betriebe keine konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Männern und Frauen. "Angesichts der zunehmenden Fachkräfteengpässe können flexible und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle helfen, qualifizierte Frauen langfristig im Betrieb zu halten", mahnte Möller. IW-Chef Hüther sieht hier jedoch eine hohe Dynamik. "Das Bewusstsein für die Bedeutung des Themas ist deutlich gestiegen."

Auch bei den Arbeitnehmern ist der Bedarf da: Für 90 Prozent der Beschäftigten mit Kindern sind familienfreundliche Angebote mindestens so wichtig wie das Gehalt, wie die Personalmarketingstudie 2010 der Konsumforschungsgesellschaft GfK für das Familienministerium ergab. Laut Ravensburger Elternsurvey wollen 96 Prozent der Eltern flexiblere Arbeitszeiten. Wie der Familienmonitor 2010 des Instituts Allensbach ergab, ist insgesamt nur ein gutes Drittel der berufstätigen Eltern zufrieden mit seinen Arbeitszeiten. 60 Prozent der Väter und 41 Prozent der Mütter möchten gerne weniger Wochenstunden arbeiten.