Jürgen Trittin von den Grünen spricht über die Machtoptionen im Superwahljahr, Olaf Scholz und die Chancen einer Frauenquote.

Berlin. Noch nie waren die Chancen für die Grünen so groß, ein Ministerpräsidentenamt zu ergattern - etwa in Berlin und Baden-Württemberg. Aber Priorität hat für Jürgen Trittin zuerst eine andere Wahl.

Hamburger Abendblatt: Herr Trittin, sieben Landtagswahlen stehen in diesem Jahr an. Welche ist Ihnen die wichtigste?

Jürgen Trittin: Immer die nächste. Und die nächste ist in Hamburg.

Was wollen Sie in dem Superwahljahr erreichen? Die erste Ministerpräsidentin oder den ersten Ministerpräsidenten in der Geschichte der Grünen zu stellen?

Trittin: Wir wollen in allen Landtagen wieder vertreten sein. In Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern ist das derzeit nicht der Fall. Wir wollen die Zahl der Regierungsbeteiligungen ausbauen. In Berlin treten wir mit dem Anspruch an, mit Renate Künast die Regierungschefin zu stellen. Auch in Baden-Württemberg sind wir bereit, die Regierung zu übernehmen und den Ministerpräsidenten zu stellen. Wer unseren Kandidaten Winfried Kretschmann mit Stefan Mappus vergleicht, kommt schnell zu dem Ergebnis: Der eine ist der geeignete Ministerpräsident, der andere ist der amtierende.

In Hamburg haben die Grünen die Koalition mit der CDU vorzeitig beendet. Warum wollen Sie jetzt wieder regieren?

Trittin: Wir haben die Koalition mit der CDU beendet, weil es mit diesem Partner einfach nicht mehr möglich war zu regieren. Die CDU ist nicht regierungsfähig. Deswegen brauchen wir in Hamburg ein neues Mandat. Wir wollen das umsetzen, wofür wir Grüne stehen: eine Stadtentwicklung, die mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander vereinbart.

Kommt für diese Ziele nur die SPD als Partner infrage?

Trittin: Die CDU hat sich seit dem Koalitionsbruch nicht erneuert, im Gegenteil. Von der Öffnung unter Ole von Beust hin zu einer modernen Großstadtpartei ist nichts mehr übrig. Die CDU hat alles, wofür Schwarz-Grün auf ihrer Seite stand, ganz schnell rückabgewickelt und entwickelt sich zu einem burschenschaftlichen Selbstverständnis zurück. Deshalb kommt für uns nur eine Koalition mit der SPD unter starker grüner Beteiligung infrage. Das wird auch nicht einfach.

SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz fährt einen wirtschaftsfreundlichen Kurs ...

Trittin: Der Wirtschaftspolitiker Scholz fährt in einer ganz entscheidenden Frage einen unklaren Kurs. Werden die Hamburger Bürger über die Strom- und Gasnetze selber verfügen, oder überlässt man das den Unternehmen? Wer Wettbewerb mit niedrigen Preisen will, der darf nicht zulassen, dass Unternehmen sich ihre Monopolgewinne sichern. In Hamburg gehören der Strom- und Gasmarkt in kommunale Hände. Es wäre günstiger, die Netze in die Verantwortung der demokratisch Gewählten zu legen. Aber da kommt die Neigung der SPD zu großen Konzernen sehr unverhohlen zum Ausdruck.

Wird es mit Rot-Grün die Elbvertiefung geben?

Trittin: Der Bund hat das Geld für die Elbvertiefung zur Verfügung gestellt, sie wird also kommen. Ich halte sie dennoch nicht für notwendig. Viel notwendiger wäre ein integriertes Hafenkonzept für Norddeutschland. Das wäre kluge Wirtschaftspolitik, aber der Bund hat anders entschieden.

Die CDU betreibt eine Internetseite über die Grünen, die CSU ätzt in einem Zeichentrick-Video über die Grünen. Fühlen Sie sich geehrt?

Trittin: Die CSU hat mit dem Video die Erfahrung gemacht, dass die eigenen Parteimitglieder nicht so doof sind wie ihr Generalsekretär Dobrindt. Es gab viele Beschwerden in der CSU über dieses unterirdische Niveau. Solche Aktionen nützen der CSU am wenigsten und schaden uns nicht.

Für den CSU-Generalsekretär sind Sie keine Partei, sondern der politische Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern.

Trittin: Außer ihm glaubt das doch keiner. Dobrindt erinnert mich an einen Geisterfahrer, der im Radio die Warnung vor einem Geisterfahrer hört und entgeistert ruft: Was, nur einer? Tausende! So ist Dobrindt.

Wie realistisch sind momentan schwarz-grüne Bündnisse?

Trittin: Die energiepolitische Rolle rückwärts der Union ist eine glasklare Kampfansage an die Grünen. Die Union muss wissen: Wer mit den Grünen regieren will, muss die Laufzeitverlängerungen komplett zurücknehmen.

CDU-Vize Norbert Röttgen sagt: Schwarz-Grün ist nicht tot.

Trittin: Herr Röttgen scheint in einer anderen Welt zu leben. Er verantwortet als zuständiger Minister die Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke - in vollem Wissen um deren Verfassungswidrigkeit. Wer Deutschlands Atomaufsicht einem notorischen Atomlobbyisten anvertraut, wer einen gefeuerten Vattenfall-Manager über die Sicherheit von Gorleben entscheiden lässt, der kann nicht ernsthaft von Schwarz-Grün träumen. Da scheint mir der Ausdruck Hirngespinst, den die Kanzlerin für Schwarz-Grün verwendet hat, treffend die Gedankengänge von Herrn Röttgen zu beschreiben.

Herr Trittin, braucht die deutsche Wirtschaft eine gesetzliche Frauenquote?

Trittin: Wir fordern in den Aufsichtsräten der Unternehmen eine Frauenquote von 40 Prozent. Dann stellt sich ganz schnell nicht mehr die Frage, ob es genug qualifizierte Frauen für die Vorstände gibt - die Aufsichtsräte, die sie berufen, finden sie ganz automatisch. Diese Erfahrung haben skandinavische Länder gemacht.

Die Bundeskanzlerin will keine starre Quote, wie sie Arbeitsministerin von der Leyen gefordert hat. Können Sie das nachvollziehen?

Trittin: Frau Merkel hat Frau von der Leyen gedemütigt. Die Kanzlerin hätte den Konflikt mit der Wirtschaft durchstehen müssen, aber lieber verweist sie auf eine Selbstverpflichtung. Die Unternehmen werden wie bisher jede Selbstverpflichtung souverän ignorieren. Es ist beschämend, dass die erste Kanzlerin dieser Republik sich vor der Wirtschaft wegduckt und sagt: Ihr dürft in euren Altherrenklubs unter euch bleiben.

Haben Sie Mitleid mit Arbeitsministerin von der Leyen nach ihrem gescheiterten 30-Prozent-Vorschlag?

Trittin: Ich habe damit gerechnet. Wann immer die Bundeskanzlerin vor die Frage gestellt wird, ob sie Erneuerung will oder den Knicks vor dem Bundesverband der Industrie, wählt sie den Knicks. Mich hat eher gewundert, dass eine so machtbewusste Politikerin wie von der Leyen an dieser Stelle so hoch gepokert hat. Es war absehbar, dass sie einen auf den Deckel kriegt. Insofern hält sich mein Mitleid in Grenzen.