Agrarministerin Ilse Aigner hatte im Dioxin-Skandal personelle Konsequenzen gefordert. Das kam in Niedersachsen nicht gut an.

Hannover/Berlin. Der Dioxin-Skandal hat am Wochenende eine handfeste Kontroverse zwischen Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und der niedersächsischen CDU-FDP-Landesregierung ausgelöst. Aigner warf dem Land schwere Versäumnisse vor, forderte Ministerpräsident David McAllister (CDU) zum Durchgreifen auf und verlangte personelle Konsequenzen. Bei einem Besuch im niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz in Oldenburg am Freitagabend sei ihr der neue Verdacht gegen einen Futtermittelhersteller in Damme (Landkreis Vechta) verschwiegen worden. "Das ist ein Skandal im Skandal", sagte die CSU-Politikerin.

Aigner forderte weitgehende Maßnahmen, um den Bundesländern bei deren Futtermittelkontrollen schärfer auf die Finger zu schauen: "Gegenwärtig verbietet es mir das Grundgesetz, die Kontrollpraxis der Länder zu kontrollieren." Es könne nicht sein, dass "der Bund politisch haftbar gemacht" werde für einen Skandal in einem Bundesland: "Es braucht personelle Konsequenzen."

Das wiederum haben sowohl Ministerpräsident David McAllister (CDU) wie auch andere Politiker der CDU-FDP-Koalitionsregierung in Hannover genauso brüsk zurückgewiesen. "Jetzt geht es darum, dass wir in der Sache vorankommen", sagte McAllister, und Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) rügte Aigner: "Der Umgang ist mehr als peinlich." Auch FDP-Chef Guido Westerwelle sprang seinen Parteifreunden bei: "Ein Schwarzer-Peter-Spiel ist hier völlig fehl am Platze."

Bei dem Streit dreht sich alles um den Futtermittelhersteller in Damme, der nach Einschätzung des niedersächsischen Agrarstaatssekretärs Friedrich-Otto Ripke (CDU), wie zuvor schon die Firma Harles und Jentzsch in Uetersen, "mit krimineller Energie gehandelt hat". Auf die Spur gekommen sind die Kontrolleure des niedersächsischen Landesamtes für Verbrauchersicherheit (LAVES) dem Dammer Betrieb erst durch umfangreichen Abgleich von Listen. Sie stellten fest, dass der Futtermittelhersteller dem Landesamt nur einen kleinen Teil jener Futterauslieferungen gemeldet hat, bei denen Dioxin-Verdacht besteht. Es geht um rund 1000 Betriebe in den vier Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern, Brandenburg und vor allem Niedersachsen, wo allein 650 weitere Höfe mit Schweine- und Geflügelmast sowie Legehennen betroffen sind. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt inzwischen, sie hat die Räume der Landwirtschaftlichen Bezugsgenossenschaft Damme (LBD) durchsucht.

Der konkrete Vorwurf Aigners ist, dass Niedersachsens Umweltminister Sander (FDP) und Agrarstaatsekretär Ripke ihr bei einem gemeinsamen Besuch des Landesamtes in Oldenburg am Freitagnachmittag den neuen Fall verschwiegen hätten, was beide inzwischen strikt verneint haben. Nach ihrer Darstellung haben sie erst nach dem Oldenburger Treffen von dem Verdacht gegen das Dammer Unternehmen erfahren, und laut Ripke wurde das Bundesministerium noch in der Nacht ins Bild gesetzt.

Die massive Kritik Aigners kommt für Ministerpräsident McAllister zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Seit dem Sommer machte das Agrarressort in Hannover nur noch Negativschlagzeilen im Bereich von Tierschutzmängeln und qualvoller Massentierhaltung. Kurz vor Weihnachten drängte McAllister die glücklose Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen (CDU) zum Rücktritt. Am Mittwoch soll ihr Nachfolger Gert Lindemann im Landtag vereidigt werden.

Nun aber gibt es statt des erhofften Neustarts regelrechte Horrormeldungen rund ums Dioxin und zum Teil dramatische Einbrüche bei den Preisen, die die Bauern für Fleisch und Eier noch erzielen. Werner Hilse, Präsident des mächtigen Landvolkverbandes Niedersachsen, wurde deutlich: "Dieser Skandal reißt unsere Agrar- und Ernährungswirtschaft in ein tiefes Loch." Und Stefan Schostok, SPD-Fraktionschef im Landtag in Hannover, nahm nicht nur Minister Sander und Staatssekretär Ripke ins Visier, sondern warf McAllister vor, er trage durch Tatenlosigkeit Mitverantwortung: "Der Regierungschef vergrößert das Chaos, er bringt die niedersächsische Landwirtschaft in Gefahr." Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel sieht das ähnlich: "Der Ministerpräsident macht durch seine Zögerlichkeit aus dem Agrarland Nummer eins das Skandalland Nummer eins."