Europäische Richter rügen nachträgliche Sicherungsverwahrung in Deutschland

Straßburg/Hamburg. Die Sicherungsverwahrung für Schwerverbrecher bleibt in Deutschland trotz der jüngsten Reform juristisch umstritten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte erneut die Bundesregierung in drei Fällen und kritisierte einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland muss an die Straftäter insgesamt 125 000 Euro Entschädigung zahlen. Weil zahlreiche Fälle weiter umstritten sind und angefochten werden, könnte die Bundesregierung gezwungen sein, weitere Täter freizulassen.

Die jetzt verhandelten Fälle lagen zeitlich vor der im Januar in Kraft getretenen Reform der Sicherungsverwahrung. Juristen und Politiker leiten aus den Urteilen dennoch Schlüsse für die Neuregelung ab. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jerzy Montag, forderte eine Reform der Reform. Die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gelte nur für Neufälle ab dem 1. Januar 2011. Damit müsse aber grundsätzlich Schluss gemacht werden.

Gegen eine Sicherungsverwahrung sei laut EGMR aber grundsätzlich nichts einzuwenden, diese müsse jedoch bei der Verurteilung ausgesprochen werden. "Das Urteil ist richtig. Die quälende Unsicherheit der Verurteilten ist weg", sagt Rechtsanwalt Stephan Kuhn von der Strafverteidigervereinigung Deutschland dem Hamburger Abendblatt. In einem der jetzt verhandelten Fälle war Albert H. 1999 vom Landgericht Passau wegen zweifacher Vergewaltigung zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Drei Tage vor der Verbüßung seiner Strafe hatte die Strafvollstreckungskammer nachträglich eine Sicherungsverwahrung gegen ihn angeordnet. Doch auch wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung abgeschafft wurde, sei mit einem drastischen Anstieg der Sicherungsverwahrten zu rechnen, so Anwalt Kuhn. "Denn nach der neuen Rechtslage werden die Richter nun deutlich häufiger die vorbehaltene Sicherungsverwahrung anordnen." In Deutschland sind etwa 20 Häftlinge in nachträglicher Sicherungsverwahrung.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht in dem Urteil eine Bestätigung der gerade in Kraft getretenen Reform der Sicherungsverwahrung. Der EGMR habe die früheren Reparaturarbeiten an der Sicherungsverwahrung zu Recht gerügt, sagte sie. Seit 1998 sei das Recht der Sicherungsverwahrung rund zehnmal geändert worden, oft hektisch und einzelfallbezogen. Seit dem 1. Januar dieses Jahres müsse die Sicherungsverwahrung im Strafurteil angeordnet oder vorbehalten sein. "Altfälle" können aber selbst dann in Verwahrung bleiben, wenn diese Maßnahme nachträglich verlängert wurde, sofern sie weiter als gefährlich eingestuft werden. Für sie gilt das neue Therapieunterbringungsgesetz, das einen Aufenthalt in speziellen Einrichtungen vorsieht.

Der Deutsche Anwaltverein zweifelte jedoch, ob diese Unterbringung dem neuen Urteil standhalte. Denn danach fehlte der erforderliche Zusammenhang zwischen der Verurteilung wegen einer Straftat und der erst nach Verbüßung der Strafe nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung. Dies sei auch bei der neuen Sicherungsunterbringung nicht gegeben. Der EGMR knüpfte mit seinem Rechtsspruch an ein ähnliches Urteil von 2009 an. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, fordert nun von Bund und Länder ein schnelles Handeln, die Unterbringung von Schwerkriminellen bereitzustellen. "Dabei darf nicht über Einzelheiten oder die Finanzierung gestritten werden. Ein Kleinkrieg zwischen Bund und Ländern wäre fatal", sagte Witthaut dem Abendblatt. Diese Aufgabe müsse gemeinsam gelöst werden.

Hamburgs Innen- und Justizsenator Heino Vahldieck (CDU) kündigte an, die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Ruhe zu prüfen. Er glaube allerdings nicht, dass sie unmittelbare Auswirkung auf den Umgang mit Sicherungsverwahrung in der Hansestadt habe, sagte er dem Abendblatt "Was allerdings deutlich wird, wie klug Hamburg beraten war, diese Station so einzurichten, dass man sie auch guten Gewissens einem Gericht vorzeigen kann", sagte Vahldieck mit Bezug auf den gestern erstmals vorgestellten neuen Trakt für Sicherungsverwahrte in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel.