Vier Sexuelverbrecher klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik - und bekommen Recht. Sie wurden trotz Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe nicht entlassen, was das Gericht als Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit sah.

Straßburg. Erneute Rüge für die Scherungsverwahrung in Deutschland: Vier Sexuelverbrecher klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik - und bekommen Recht. Sie wurden trotz Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe nicht entlassen, was das Gericht als Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit sah. Drei Klägern muss Deutschland insgesamt 125.000 Euro an Entschädigung zahlen.

Die Straßburger Richter stellten für alle Kläger Verstöße gegen das Grundrecht auf Freiheit fest. In drei Fällen rügten sie zudem einen Verstoß gegen das so sogenannte Rückwirkungsverbot („Keine Strafe ohne Gesetz“). Alle vier Kläger sind Wiederholungstäter, die unter anderem wegen Vergewaltigung, sexuellen Mißbrauchs von Kindern, sexueller Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung zu Haftstrafen verurteilt worden waren.

Bei drei von ihnen hatten die Gerichte in den Urteilen gleichzeitig die Unterbringung in Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Haftstrafe angeordnet, um die Allgemeinheit vor den Tätern zu schützen. Die Sicherungsverwahrung war zu diesem Zeitpunkt aber auf zehn Jahre begrenzt. Diese Höchstfrist wurde 1998 abgeschafft. Unter Berufung auf dieses Gesetz wurde die Sicherungsverwahrung der Männer dann nachträglich mehrfach verlängert. Damit verstieß die deutsche Justiz dem Straßburger Gericht zufolge jedoch gegen das Verbot rückwirkender Strafen.

Beim vierten Kläger hatte das Landgericht in Passau eine Sicherungsverwahrung erst drei Tage vor Verbüßung der Strafe im April 2002 angeordnet. In diesem Fall rügte der Gerichtshof unter anderem, dass der Mann zunächst in einem Gefängnis untergebracht wurde, obwohl er von Gutachtern als psychisch krank eingestuft worden sei. Der heute 76-Jährige befindet sich mittlerweile in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt.

Alle Urteile wurden von einer kleinen Kammer aus sieben Richtern einstimmig gefällt. Sie sind erst in drei Monaten rechtskräftig. Bis dahin können sowohl die Kläger als auch die Bundesregierung eine Überprüfung durch die Große Kammer des Gerichtshofs beantragen. Das Gericht rügte zudem, dass die deutsche Justiz unterschiedlich auf sein erstes Urteil zur Sicherungsverwahrung vom Dezember 2009 reagiert habe. Auch damals wurde ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt.

Dem Urteil vom Donnerstag zufolge setzte sich das Oberlandesgericht (OLG) Köln über dies Entscheidung von 2009 hinweg und ordnete im Sommer 2010 eine Fortsetzung der Sicherungsverwahrung für zwei der Kläger an. Die Männer im Alter von 50 und 55 Jahren sind nach wie vor in einem Gefängnis in Aachen untergebracht. Im Unterschied dazu beugte sich das OLG Karlsruhe im vergangenen September dem Straßburger Urteil und entließ den dritten Kläger. Der 51-Jährige lebt seither in Freiburg unter ständiger Polizeibeobachtung.

Mit der im Januar in Kraft getretenen Reform der Sicherungsverwahrung hatte die Bundesregierung auf das Urteil von 2009 reagiert. Danach muss eine Sicherungsverwahrung nun immer bereits bei der Verurteilung angeordnet werden. „Altfälle“ können aber selbst dann in Verwahrung bleiben, wenn diese Maßnahme nachträglich verlängert wurde, sofern sie weiter als gefährlich eingestuft werden. Für sie gilt das neue Therapieunterbringungsgesetz, das einen Aufenthalt in speziellen Einrichtungen vorsieht. Zu dieser Neuregelung nahmen die Straßburger Richter nicht Stellung.