Mit einem digitalen Radiergummi will Ministerin Aigner Dokumente im Internet vergänglich machen. Experten zweifeln

Hamburg/Berlin. Auch früher waren Silvester-Partys wild, mit Trinkgelage und anzüglichen Fotos im Vollrausch. Und die landeten meist in Alben, die dann in Schränken verschwanden und damit in Vergessenheit gerieten. Heute landen peinliche Fotos auf Facebook, auf MySpace oder bei Google. Die sozialen Netzwerke leben vom Privaten in der virtuellen öffentlichen Welt. Und das Internet vergisst nicht.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will das Vergessen im Netz möglich machen. Ins Internet hochgeladene Privatfotos sollen mithilfe einer technischen Lösung ein Verfallsdatum bekommen. Damit könnten die Nutzer von sozialen Diensten wie Facebook "ein Stück weit die Möglichkeit erhalten, wieder mehr Selbstkontrolle zu bekommen", sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) in Berlin. Auf Einladung Aigners stellte der Saarbrücker Informatiker Michael Backes die Software X-pire vor, die Bilder nach einer bestimmten Zeit mit einer Art "digitalem Radiergummi" unsichtbar machen soll.

Backes hat gemeinsam mit seinen Kollegen am Lehrstuhl ein Programm für den Internetbrowser entwickelt, das digitale Bilder, Videos, Texte mit einem wählbaren Verfallsdatum versieht. Wer sichergehen will, dass ein Partybild im sozialen Netzwerk nach ein paar Monaten verschwindet, gibt beim Hochladen des Fotos ein Verfallsdatum ein. Der Server, auf dem die Schlüssel für die Daten gespeichert sind, merkt sich dieses Datum und löscht dann nach Ablauf der Frist alle herausgegebenen Schlüssel. So können die Daten auf den Webseiten nicht mehr aufgerufen werden. Die Nutzung der Verschlüsselungstechnik soll monatlich 9,90 Euro kosten. Alternativ kann auch nach der Zahl der damit bearbeiteten Fotos abgerechnet werden. Das Programm soll in der kommenden Woche fertiggestellt werden.

Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters von Datenströmen stießen nationale Rechtsordnungen zusehends an ihre Grenzen, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Gisela Piltz, dem Hamburger Abendblatt. "Eine immer stärkere nationale Verrechtlichung des Datenschutzes kann daher nicht die Antwort auf den voranschreitenden technologischen Fortschritt sein." Unter dem Stichwort "Privacy by Design" muss laut Piltz in Zukunft verstärkt auf die Entwicklung datenschützender Technologien gesetzt werden. Der digitale Radiergummi sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Eine ähnliche Verschlüsselungslösung entwickelt auch ein Team an der Universität des US-Staates Washington. Das "Vanish"-Projekt will erreichen, dass sich digitale Daten nach einer bestimmten Zeit selbst zerstören. Der Haken: Solange die Daten sichtbar sind, können sie kopiert und ohne Verfallsdatum weiterverbreitet werden. Auch von den mit X-pire geschützten Fotos kann man während ihrer Sichtbarkeit auf Facebook Screenshots anfertigen und kopieren. Backes räumt daher ein, dass die Lösung "kein Freifahrtschein" sein könne.

Der Chaos Computer Club (CCC) geht in der Kritik an dem neuen Zusatzprogramm X-pire noch weiter. "Das digitale Radiergummi ist eine gut gemeinte Idee, bringt aber in der Praxis nicht viel", sagt CCC-Sprecher Frank Rosengart dem Abendblatt. Die Software schaffe viel eher eine trügerische Sicherheit, ähnlich wie bei den Sperren von kinderpornografischen Internetinhalten. "Es wird immer Browser geben, in denen man Inhalte wie Bilder einfach herauskopieren und damit weiterverbreiten kann", ergänzt Rosengart.

Etwas positiver fällt die Einschätzung der hauptamtlichen Datenschützer aus. "Das ist natürlich kein Allheilmittel, aber ein Vorschlag in die richtige Richtung", sagt der hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar und macht deutlich, dass es für ihn drängendere Probleme gibt: Werkzeuge wie der "Friendfinder" von Facebook gingen "weit über das hinaus, was Geheimdienste in ihren Schubladen haben". Es sei ein Riesenproblem, wenn Millionen von Facebook-Mitgliedern dem Unternehmen ihre E-Mail-Adressbücher offenlegten, um neue Kontakte zu finden.

Mehrere Experten kritisierten, dass amerikanische Internetdienste nicht bereit seien, sich nach den Datenschutzvorgaben in den Ländern der Nutzer - etwa in Europa - zu richten. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, teilte mit, dass er zum Umgang amerikanischer Unternehmen mit europäischen Sicherheitsstandards in einem Jahr eine grundlegende Regelung der Europäischen Kommission erwarte.

Verbraucherministerin Aigner sieht in Versäumnissen von US-Unternehmen dagegen auch eine Chance und Wettbewerbsvorteil für datenschutzfreundliche Internetanbieter in Deutschland. Der Verbraucher müsse nur die Möglichkeit nutzen, sich für einen Anbieter zu entscheiden, der besonders sicher sei, sagte die Ministerin. Die vielen Facebook-Mitglieder kümmern sich aber kaum um den Datenschutz, weiß Jutta Croll von der Stiftung Digitale Chancen. "Sie gehen dorthin, wo ihre Freunde sind."