... gibt es im kühlen Geschäft der Politik doch gar nicht. So lautet zumindest das Klischee. Die beiden norddeutschen CDU-Politiker Christian von Boetticher und Ole Schröder beweisen das Gegenteil

Hamburg/Berlin. Die Suche nach wahrer Freundschaft in der Politik beginnt mit schmerzhaften Rückschlägen. "O Freunde, es gibt keinen Freund", soll der Philosoph Aristoteles gesagt haben. Sein Hauptwerk zur Staatslehre hieß übrigens "Politik". Das ist zwar gut 2300 Jahre her. Aber mit der Wucht der griechischen Antike im Nacken liest man auf den Politikseiten der Gegenwartspresse viel über Neid, Zwietracht und Klüngel. Doch wer tiefer schürft, entdeckt sie in Parlamenten und Parteien: die Freundschaft. Bindungen über den Kabinettstisch hinaus. Dauerhafte Beziehungen, die von stärkeren Säulen getragen werden als der Suche nach Mehrheiten - aber oftmals doch eng mit ihnen verwoben sind.

Es gab Zeiten vor ihrer Karriere, da haben sich Ole Schröder und Christian von Boetticher täglich getroffen. In den Seminaren über Verwaltungsrecht und danach im Café Pause an der Universität Hamburg: Die beiden Jurastudenten pauken Paragrafen für die Examensprüfung und spielen Übungsfälle vor Gericht durch. Viele Stunden, jeden Tag. Die Zeit an der Uni, sagen sie heute, habe sie zu engen Freunden gemacht. Beide tragen einen Doktortitel - und gehören zu den erfolgreichsten jungen Politikern der CDU. Der 39 Jahre alte Schröder arbeitet als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und ist seit Februar mit Familienministerin Kristina Schröder verheiratet. Der 40 Jahre alte von Boetticher leitet Partei und Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein. 2012 kann er Ministerpräsident werden.

Als Ole Schröder von seiner Freundschaft zu Christian von Boetticher erzählt, sitzt er im hinteren Raum des Berliner Cafés Einstein und bestellt sich einen Tee mit Ingwer. Draußen rieselt Schnee auf die vorbeiziehenden Passanten. Drinnen, am Nachbartisch, unterhält sich Fernsehmoderator Peter Hahne mit einer Frau. Das Einstein ist der Marktplatz im Berliner Regierungsviertel. Lobbyisten, Politiker, Künstler und Journalisten tauschen hier vertrauliche Informationen aus oder schmieden Bündnisse. Es ist kein Ort der Freundschaft. Es ist ein Ort des Geschäfts. "Seilschaften zeichnen sich dadurch aus, dass jeder von dem anderen profitieren will", sagt Schröder. Freunde seien über Klüngel erhaben.

Es gebe keinen Zwang für regelmäßige Treffen oder Telefonate zwischen ihnen, sagt von Boetticher. Freunde in der Politik geben sich Freiheit - in einer Branche, die von Verpflichtungen und Termindruck durchdrungen ist. "Ole ist für mich nicht anstrengend, es macht einfach nur Spaß", sagt von Boetticher. Unter Freunden darf man so schön unkompliziert sein. Und sich hängen lassen. Unter Kollegen geht das nicht. Auch das ist das Besondere zwischen Schröder und von Boetticher.

"Unsere Freundschaft hat sich nie dadurch ausgezeichnet, dass wir uns bei dem anderen ausgeheult haben", erzählt Schröder. Aber er wisse, dass er Christian jederzeit anrufen und um Rat bitten könne. Er trinkt einen Schluck Tee. Es sind diese Sätze, nach denen man eintauchen möchte in die traurigen, lustigen oder zerstrittenen Momente zwischen den beiden Politikern. Doch Nachfragen prallen ab. Zu zerbrechen drohte das Verhältnis zu Ole nie, sagt von Boetticher. Dass es eine Belastungsprobe gab, deutet er nur an. Privater wird es in den Gesprächen nicht.

Der Staatssekretär und der Landesvorsitzende schützen die Freundschaft zwischen Ole und Christian.

Als sich die beiden zum ersten Mal begegnen, sind sie Gegenspieler. TuS Appen spielte gegen SV Halstenbek-Rellingen im Pokal. 1985 muss das gewesen sein, sagt von Boetticher. "Christian ist ein eher robuster Fußballer", sagt Schröder heute neckisch. Ende der 1980er-Jahre treffen sie sich wieder. Nicht auf dem Platz - diesmal machen sie schon Politik in der Jungen Union. Schröder in Rellingen, von Boetticher in Appen. "Sie waren die Spitze eines Generationswechsels im Kreisverband - und sie galten als Hoffnungsträger", sagt ein Journalist aus Pinneberg, der die Karriere der beiden seit Jahren verfolgt. Heute seien beide Aushängeschilder des Kreisverbandes. "Christian von Boetticher ist bodenständig und geradlinig. Ole Schröder ist dagegen der smarte Politiker", so beschreibt er die beiden. Sie ergänzen sich gut, gerade weil sie so verschieden sind, sagt Barbara Ostmeier, CDU-Politikerin und Bürgermeisterin der Gemeinde Hetlingen. Schröder und von Boetticher kennt sie, seitdem sie 14 Jahre alt ist. Auf Vorstandssitzungen spielen sie super zusammen, erzählt sie.

Wer die beiden selbst über den jeweils anderen fragt, bekommt gleiches zu hören: beharrlich, zielstrebig, entschlossen. Das sind die Attribute, mit denen sich die Freunde Ole und Christian beschreiben. Sie sagen, dass sie verschieden sind - doch schätzen und kritisieren sie einander das Gleiche. "Christian ist sehr gewissenhaft und zielstrebig. Manchmal tut er sich selbst damit zu viel an", sagt Schröder. "Ole ist hopp oder top. Ich suche Kompromisse", sagt von Boetticher. Ein Freund ist des andren Spiegel, sagt ein Sprichwort.

Schröder und von Boetticher sehen sich heute seltener als früher. Etwa dreimal im Monat. Der eine arbeitet in Kiel, der andere in Berlin. Vielleicht ist das Verhältnis deshalb so eng, weil sie nicht um die gleichen Jobs kämpfen. Vertrauen entsteht. Und Konkurrenz kann das nicht kaputt machen.

So ist es auch bei David McAllister und Philipp Rösler. Der eine ist CDU-Politiker und Ministerpräsident in Niedersachsen, der andere niedersächsischer FDP-Chef und Gesundheitsminister. "Er ist ein guter Freund, auf den man sich verlassen kann", sagte Rösler einmal über McAllister. Verlässlichkeit - vielleicht ist es vor allem sie, nach der Freunde in der Politik suchen, wenn sie Karriere machen in einem Beruf, der auch von Klüngel und Kampf lebt.

Auf dem langen Weg an die Spitze baut Politik auch auf Zweckbündnissen. Und die verlangen Loyalität. Wer Koalitionen schmiedet, in Verhandlungen vermittelt - und am Ende den anderen nicht in den Rücken fällt, ebnet den Weg für Freundschaft. So war es auch bei Volker Kauder und Peter Struck. Das Wahlergebnis 2005 habe die beiden Fraktionschefs von Union und SPD "in einen Topf geworfen", sagt Kauder. Sie duzen sich und nennen ihr Verhältnis absolut offen und verlässlich. Beide waren Teamplayer in einer Koalition, von der viele zu Beginn vor allem eines erwarten hatten: Stillstand und Streit. Sie sind Freunde geblieben, auch als sie den Kabinettstisch verlassen haben. "Es war für mich ein Glücksfall, dass ich auf Peter getroffen bin", sagte Kauder bei der Vorstellung von Strucks Autobiografie.

Aus dem Zweckbündnis Kauder/Struck wurden die Freunde Volker und Peter. Es ist eine andere Geschichte als die der beiden Politiker aus Pinneberg, die seit vielen Jahren "getrennt marschieren und gemeinsam schlagen", wie Christian von Boetticher sagt. Aus privater Freundschaft wurde irgendwann auch eine politische. Von Boetticher lässt Schröder seine Wahlkampf-Flyer gegenlesen. Sie besuchen sich gegenseitig im Wahlkreis. Die Branche der Politik lebt von Kollegialität. Bei Schröder und von Boetticher ist es ein Rat unter Freunden. "Wir sind auch mal pseudopissig. Aber das ist nie böse gemeint", sagt von Boetticher. Als er sich zwischen den Feiertagen von einer Operation an den Stimmbändern erholt hat, schickte Schröder ihm eine SMS. "Geht es Dir gut?" Wenn beide aus dem Winterurlaub zurück sind, wollen sie sich treffen. Vielleicht dort, wo sie sich kurz vor Weihnachten getroffen haben. Beim Italiener Rigoletto in Pinneberg.