In Freiburg will die Partei dem Vorwurf entgegenwirken, sie setze nur auf den Wohlfühlfaktor

Freiburg. Der zweite große Applaus am Freitagabend geht an den ersten Mann in der Partei. Bei seiner Auftaktrede zum Grünen-Parteitag in Freiburg erteilt Parteichef Cem Özdemir schwarz-grünen Bündnissen im Bund eine klare Absage. "Wer die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert, mit denen können wir nicht zusammenkommen", sagt Özdemir, und die 820 Delegierten erfreut die Botschaft. Die Grünen wollen regieren, aber ohne gewagte Kompromisse. So geht es in Freiburg darum, sich auf ein regierungstaugliches Programm zu verständigen. Ein Arbeitsparteitag also - trotzdem geben sich die Delegierten schon vor dem Beginn demonstrativ entspannt. Blümchen werden auf dem Podium verteilt, laute Musik gespielt. Always look on the bright side of life. Willkommen auf Parteitag Nummer eins seit dem Umfragewunder der letzten Monate.

Auch wenn sich die Partei nach außen bislang in Bescheidenheit geübt hat, ein bisschen feiert man sich an diesem Wochenende auch selbst. Das ist natürlich was, so als kleinste der fünf Parteien im Deutschen Bundestag auf einmal alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und nach den Berechnungen der Demoskopen ein gutes Fünftel der Wählerstimmen auf sich vereinen zu können. Und es ist völlig neu, die alte Tante SPD von ihrem Thron als erste Partei links der Union gestoßen zu haben. In ihrer Rolle als Oppositionsführerin finden die Sozialdemokraten im Moment nicht statt. Wenn es darum geht, gegen schwarz-gelbe Projekte zu wettern, stehen die Grünen in der ersten Reihe.

Dabei nicht selbst zu regieren macht für die Grünen vieles einfacher. Diesen Vorteil haben die Hamburger Grünen nicht - und bekamen das in den letzten Monaten schmerzlich zu spüren. Denn auch wenn es beim Regierungsantritt 2008 anders geplant war: Elbvertiefung und das Kohlekraftwerk Moorburg konnten nicht verhindert werden, die Schulreform scheiterte. In den Umfragen dümpelt die GAL bei zwölf Prozent, die Bundespartei sonnt sich jenseits der 20-Prozent-Marke.

Sechs Landtage werden im kommenden Jahr neu gewählt. In zwei davon, nämlich in Berlin und Baden-Württemberg haben die Grünen mit ihrer Fraktionschefin Renate Künast und dem bundesweit eher unbekannten Winfried Kretschmann eine reelle Chance, die künftigen Regierungschefs zu stellen. Auch das ist neu. Denn waren die Grünen bislang in einer Regierung, dann stets als Juniorpartner. Und so gilt auch der erste große Applaus des Parteitags Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon, als er Kretschmann lautstark anfeuert, im März der erste grüne Ministerpräsident zu werden.

Deshalb gucken jetzt alle ganz genau hin. "Wir werden fleißig arbeiten bei diesem Parteitag", machte Parteichefin Claudia Roth im Vorfeld klar. "Und all denen, die behaupten, wir sind die Wohlfühlpartei und haben keine Inhalte, werden wir genau das ganze Gegenteil beweisen."