Bundespräsident plädiert gegen Vergessen und für Aufarbeitung

Berlin/Frankfurt. Bundespräsident Christian Wulff hat gestern bei seinem Antrittsbesuch in Brandenburg gegen das Vergessen und für die Aufarbeitung der Vergangenheit plädiert. Der 9. November sei ein schwieriger und schwerer Tag in der deutschen Geschichte, sagte er im Deutsch-Deutschen Museum in der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke in Potsdam. Begleitet von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) besuchte er auch den Ort, an dem in der Stadt eine Synagoge entstehen soll.

Nach dem Besuch der Ausstellung in der Villa Schöningen war Wulff sichtlich bewegt. Es sei schwer vorstellbar, dass es mitten in Deutschland eine Mauer mit Stacheldraht und Todesstreifen gegeben habe, bemerkte er. Menschen hätten mit ihrem Leben büßen müssen, nur weil sie von Ost nach West wollten. Die Öffnung der Mauer sei "der glücklichste Tag in der deutschen Geschichte".

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), übergab am Mittag vor dem ehemaligen Grenzübergang Bornholmer Straße in Pankow den "Platz des 9. November 1989". Am Abend des 9. November 1989 versammelten sich Hunderte Berliner vor dem Gelände und forderten nach entsprechenden Fernsehberichten über neue Reiseregelungen die sofortige Öffnung. Um 21.20 Uhr mussten DDR-Grenzer den Weg nach West-Berlin erstmals freigeben.

In der Frankfurter Paulskirche verlief die Gedenkfeier zur Reichspogromnacht ohne den vielfach erwarteten Eklat. Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser mahnte zwar in seiner Rede, auch das Leid der Palästinenser nicht zu vergessen, verzichtete aber auf Attacken gegen Israel. Auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, der Grosser zuvor Hass gegen Israel vorgeworfen und als Redner eine Fehlbesetzung genannt hatte, hielt eine eher nachdenkliche Rede. Am Ende der Feier reichten sich die beiden vormaligen Kontrahenten versöhnlich die Hand.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten, die in der sogenannten Reichskristallnacht am 9. November 1938 in ganz Deutschland Synagogen angezündet und willkürlich Juden verhaftet hatten. In den Reden gab es aber auch viele Bezüge zur Gegenwart. Graumann, der vor Grosser sprach, räumte zu Beginn seiner Ausführungen ein, schon unter günstigeren und entspannteren Umständen an dieser Stelle geredet zu haben. Die Bedenken der Jüdischen Gemeinden seien nicht ausgeräumt, fügte er hinzu, ohne Grossers Namen zu nennen. Zugleich warnte er aber, der Gedenktag sei "kein Spektakel". Es werde keinen Knall geben, wer auf einen Eklat warte, werde enttäuscht.

In Berlin wurde am 21. Jahrestag des Mauerfalls eine neue europäische Tradition begründet. Alljährlich soll am oder um den 9. November herum ein EU-Spitzenpolitiker in einer sogenannten Europa-Rede seine Vision des geeinten Kontinents darlegen. Den Auftakt machte gestern im Pergamonmuseum der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy. Er rief zur Vollendung der europäischen Einigung durch die Aufnahme der Staaten des westlichen Balkans auf. Van Rompuy räumte ein, dass die Fortsetzung der Erweiterung "politischen Mut" erfordere. Nicht alle 27 Mitgliedstaaten teilten den Gedanken an Aufnahmen weiterer Länder. Aber das Kapitel der Erweiterung sei "noch nicht abgeschlossen". Gerade die Länder des westlichen Balkans aber verdienten Hilfe. "Der Beitritt wird den letzten Bürgerkrieg in der langen Geschichte Europas beenden - nicht mehr und nicht weniger."