Die Linke ringt um ihr künftiges Programm. Vor allem den Pragmatikern ist der Entwurf zu radikal

Hannover. Natürlich war er da. Oskar Lafontaine, 67, der unangefochtene Star der Linken, stand unter heftigem Beifall vor den rund 600 versammelten Parteimitgliedern in Hannover und tat das, was er am besten kann: reden. "Wir brauchen keine zweite SPD", rief der Ex-Parteichef und sprach sich für eine klare Abgrenzung gegen Sozialdemokraten und Grüne aus. Diese Parteien seien die Hauptkonkurrenten im politischen Wettbewerb.

Und genau darum ging es bei der gestrigen Debatte: um die Abgrenzung durch ein eigenes Programm und um den künftigen Kurs der Partei. Bislang agiert die drei Jahre alte Linke auf Basis programmatischer Eckpunkte - auf ein Grundsatzprogramm festlegen wollte man sich lange nicht. Seit März gibt es jetzt jedoch einen Entwurf, entstanden unter Federführung Lafontaines. Und geht es nach dem Ex-Parteichef, muss daran nicht mehr viel geändert werden. Für die neue Parteispitze allerdings liegt bei den Vorschlägen noch einiges im Argen: Der Entwurf sei zu "abstrakt", kritisierte Kochefin Gesine Lötzsch. Die Partei müsse lernen, sich "mehr in das alltägliche Leben der Menschen" hineinzudenken, weniger weltfremd zu sein. "Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind", forderte auch Vorsitzender Klaus Ernst. Der Entwurf sieht unter anderem eine Bankenverstaatlichung vor, eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Streiks als Mittel der Politik und die Auflösung der Nato.

Seit dem Abgang Lafontaines von der Bundesspitze ist es ruhig geworden um die Linke. Im Sommer machte sie noch einmal von sich reden, als es um die Almhütte und den Porsche des neuen Parteichefs Ernst ging. In den großen Debatten des Herbstes wie die Verlängerung der Atomlaufzeiten oder Stuttgart 21 waren es jedoch vor allem SPD und Grüne, die vom Schlingerkurs der schwarz-gelben Bundesregierung profitierten. Jetzt geht es den Linken nicht nur darum, wieder in die Offensive zu gelangen, sondern auch, sich für das kommende Jahr zu positionieren: Sechs Landtagwahlen stehen 2011 auf dem Programm.

Die zentrale Frage war deshalb auch jene nach künftigen Koalitionen. Der pragmatische Flügel hält die Vorgaben des Programmentwurfs für zu radikal - und befürchtet, dass sich die Partei durch die darin festgeschriebenen Hürden für eine Regierungsbeteiligung ins politische Aus manövriert: kein Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst, kein Abbau von Sozialleistungen, keine Privatisierungen. Der Riss zwischen Fundis und Realos ist offensichtlich. Für Sahra Wagenknecht, die Sprecherin der kommunistischen Plattform, ist es nicht sinnvoll, sich "um den Preis der linken Seele" in eine Regierung zu integrieren. Das Programm soll erst im Herbst 2011 von einem Parteitag beschlossen werden. Das letzte Wort haben anschließend die rund 70 000 Mitglieder in einer Urabstimmung. Bis dahin gibt es noch viel zu diskutieren.