Kleine EU-Staaten lehnen vor Gipfel neue Sanktionen für Defizitsünder ab

Brüssel. Es war Mitte Mai, die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war gerade vorbei, den Absturz des hoch verschuldeten Griechenlands hatte die Europäische Union in einer dramatischen Rettungsaktion in letzter Minute abgewendet. Vor dem Abgrund stehend hatten die europäischen Partner Athen eine gewaltige Finanzspritze verpasst und zusätzlich einen Rettungsschirm in der gigantischen Höhe von 750 Milliarden Euro aufgespannt. Nach unendlich langem Zögern hatte dieser historischen Aktion auch Angela Merkel zugestimmt. Vier Tage später sagte die Bundeskanzlerin bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen: "Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa." Ein simpler Satz, dessen Dimension aber erst langsam klar wird.

Durch die Reihen der 26 Mitglieder ging seinerzeit erst einmal Aufatmen. Endlich war Deutschland zurückgekehrt, hatte seine alte Rolle als Wahrer europäischer Solidarität angenommen, der am Ende immer bereit ist, für die Union die nötigen Opfer zu bringen. Wie trügerisch die deutsch-europäische Idylle doch gewesen sein mag.

Denn Angela Merkel ist es bitterernst mit dem Satz, dass der Euro nicht scheitern darf: Viel zu lange haben die Deutschen ihrer Auffassung nach zugeschaut, wie erst 14, dann 24 und jetzt 26 die mit D-Mark-Samen gesäten Euro-Wiesen abfraßen. Euro- wie Nicht-Euro-Länder profitierten von einem einzigartigen gemeinsamen Währungsraum mit stabilen Zinsen und einer daraus resultierenden, nie gekannten Konsummanie vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer.

Dass die Kanzlerin mit ihrer Euro-Beschwörung aber das bittere Ende trauter Währungs-Idylle verkündet hat, löst seither Irritation aus. Dabei ist es keinesfalls so, dass man in Europa kein Verständnis für die neue harte Kante Berlins hätte. Hinter lautstarken Anwürfen, ohne die starke Nachfrage aus Europa wäre die Bundesrepublik kein Exportweltmeister, verbirgt sich zerknirschtes Eingeständnis: Irgendetwas scheinen die Deutschen wohl richtig gemacht zu haben, wenn überall sonst Arbeitslosenzahlen in die Höhe schießen und das Wachstum im Keller bleibt.

Jetzt droht neuer Ärger. Angela Merkel will bei dem EU-Gipfel in Brüssel Ende der Woche trotz massiver Widerstände aus anderen EU-Ländern für eine Änderung des EU-Vertrages mit verschärften Sanktionen für Defizitsünder kämpfen. Und sie macht davon ihre Zustimmung zur Reform des Stabilitätspakts abhängig.

Eine Vertragsänderung sei notwendig, damit nach Auslaufen der Euro-Rettungsschirme 2013 ein dauerhafter Krisenmechanismus mit ausreichender Rechtsgrundlage geschaffen werden könne, hieß es gestern aus Berliner Regierungskreisen. Die von der Euro-Taskforce ausgearbeitete Reform des Stabilitätspakts und die Vertragsänderungen seien ein Paket. "Es gibt beides oder gar nichts", sagte der Diplomat. Damit erhöht Berlin zwei Tage vor dem EU-Gipfel den Druck auf die anderen EU-Mitglieder.

Im Kreis der EU-Außenminister in Luxemburg war zuvor erheblicher Widerstand gegen eine Öffnung der Verträge deutlich geworden. Widerstand gibt es vor allem gegen den Vorschlag aus Berlin und Paris, Defizitsündern das Stimmrecht zu entziehen. Vor allem die kleinen EU-Staaten fühlen sich von den "beiden Großen" überfahren. Die Reform des Stabilitätspaktes, die zügigere Sanktionen für Schuldensünder, eine enge Abstimmung der nationalen Haushaltspolitiken sowie einen Abbau von Wettbewerbsungleichgewichten einführen würde, ist dagegen schon von allen 27 EU-Finanzministern abgesegnet worden.

Jetzt knirscht es gewaltig im deutsch-europäischen Gebälk. Das Problem dabei ist auch die Unfähigkeit Deutschlands, eine neue Europapolitik zu kommunizieren. Mancher Vertreter der Bundesregierung macht bei seinen Auftritten in Brüssel dieser Tage auf unverhohlen arrogante Art klar, dass Deutschlands wirtschaftliche Macht den Anspruch auf die Kommandoposition legitimiert und damit auch auf die Marschrichtung für den Euro.

Wenn Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor seinen 26 Amtskollegen in Luxemburg sagt, dass, "wenn jemand seine Pflichten nicht erfüllt, dann ist es auch nicht fair, dass er weiter die Rechte wahrnehmen kann", so ist das inhaltlich mehr als berechtigt. Aber es klang natürlich nach typisch deutscher Besserwisserei.