Mythos von Hitlers diplomatischem Korps als Hort des Widerstands von Studie widerlegt

Berlin. Das Auswärtige Amt war im Dritten Reich viel stärker an der systematischen Verfolgung und Ermordung von Juden beteiligt als allgemein bekannt. Dies geht aus dem Bericht einer unabhängigen Historikerkommission hervor, die sich mit dem Verhalten von Deutschlands Diplomaten in der Hitler-Zeit beschäftigt hatte.

Die Kommission war 2005 vom damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) eingesetzt worden, nachdem es Streit um die Nachruf-Praxis für verstorbene Diplomaten gegeben hatte. Daraus entstand nun ein fast 900 Seiten dickes Buch ("Das Amt und die Vergangenheit"). In ihrem Abschlussbericht lässt die international besetzte Kommission keinen Zweifel daran, dass das Auswärtige Amt (AA) von 1933 bis 1945 zu den Stützen der Nazi-Herrschaft zählte. Demnach waren deutsche Diplomaten schon von Beginn an an der systematischen Judenverfolgung "aktiv beteiligt". Zwar gab es auch im AA Widerstand. Dies war jedoch die große Ausnahme. In dem Bericht heißt es: "In vielen Fällen waren Angehörige des Auswärtigen Dienstes (...) an der Deportation von Juden unmittelbar beteiligt. Mitunter ergriffen sie sogar die Initiative." Die Kommission förderte zum Beispiel die Reisekostenabrechnung eines Diplomaten zutage, in der der Reisezweck mit den Worten beschrieben wird: "Liquidation von Juden".

Auch bei der Ausbürgerung von Hitler-Gegnern wie dem späteren Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) oder dem Schriftsteller Thomas Mann spielte das Ministerium eine wichtige Rolle. Dem Bericht zufolge kam der entscheidende Anstoß für die Ausbürgerung des Literatur-Nobelpreisträgers von Ernst von Weizsäcker, dem Vater des späteren Bundespräsidenten. Weizsäcker wurde 1949 als einer von wenigen NS-Diplomaten zu einer Haftstrafe verurteilt. Trotz ihrer Vergangenheit machten viele Diplomaten nach Kriegsende in der Bundesrepublik Karriere.