Nach einem teilweisen Baustopp am Stuttgarter Bahnhof sollen die Gespräche beginnen, aber die Gegner weigern sich. Kirche bietet an zu vermitteln

Berlin. Der Schlichtungsversuch beim umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 nimmt konkrete Formen an. Der als Vermittler engagierte Heiner Geißler hat sich nach widersprüchlichen Aussagen nun doch mit Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) auf eine Grundlage für Gespräche geeinigt. Die beiden seien sich von Anfang an einig gewesen, dass während der Schlichtungsverhandlungen Friedenspflicht für die Planer und die Gegner des Projekts herrscht, hieß es am Freitag in einer gemeinsamen Mitteilung. Demnach soll der Großteil der Bauarbeiten ruhen, die Einrichtung des Grundwassermanagements für den neuen Tiefbahnhof soll aber weitergehen.

Geißler hatte am Donnerstag für Verwirrung gesorgt, weil er gesagt hatte: "Es dürfen kein vollendeten Tatsachen geschaffen werden, während wir verhandeln." Bahnchef Rüdiger Grube und Ministerpräsident Mappus relativierten die Äußerungen später. In der Mitteilung hieß es nun, Geißler habe nie von einem "generellen Baustopp" gesprochen. "Das Schlichtungsverfahren soll wie geplant zügig vorangehen, Ende nächster Woche begonnen und nach Möglichkeit auch bis Ende November abgeschlossen werden." Dennoch stehen die Gespräche auf der Kippe, denn der Kompromiss - der die Schlichtung erst möglich macht - geht den Bahnhofsgegnern nicht weit genug. Die in einem Aktionsbündnis vereinten Bahnhofsgegner forderten gestern umgehend einen umfassenden Bau- und Vergabestopp. "Der Baustopp muss auch für die Grundwasseranlage gelten", forderte der Sprecher der Projektgegner, Gangolf Stocker.

Bei der CDU wurde die gemeinsame Linie von Schlichter Geißler und Regierungschef Mappus hingegen positiv aufgenommen. "Selbstverständlich ist eine Schlichtung noch möglich", sagte der baden-württembergische CDU-Generalsekretär Thomas Strobl dem Abendblatt. "Wir wollen den Dialog. Unsere Hand bleibt ausgestreckt."

Nach Ansicht Strobls leben Befürworter und Gegner in unterschiedlichen Wirklichkeiten und berufen sich auf unterschiedliche Fakten. "Wir müssen uns bei den Fakten annähern. Und ich glaube, das kann uns gelingen." Dann würden danach auch die Bewertungen nicht mehr so weit auseinanderklaffen, zeigte sich der Generalsekretär überzeugt. Er traue es Heiner Geißler zu, ein sehr guter Moderator zu sein, so Strobl. Und er betonte: "Genau genommen gibt es bereits einen Baustopp. Der Südflügel des Bahnhofs wird erst einmal nicht abgerissen, obwohl er planmäßig jetzt abgerissen werden müsste."

In den kommenden Monaten würden auch keine Bäume gefällt. Der Bundestagsabgeordnete räumte zugleich ein: "Andere Arbeiten, wie etwa am Grundwasser, gehen jedoch weiter." Strobl sprach sich zugleich für eine aktive Beteiligung der Bürger bei der erweiterten Planung rund um den Bahnhofsneubau. "In Stuttgart entsteht eine neue Stadt so groß wie 150 Fußballfelder. Bei den Planungen für diese Stadt in der Stadt müssen die Bürger einbezogen werden: Die Bürger sollen mitentscheiden, wie der neue Stadtteil heißen soll", forderte Strobl. "Dort, wo jetzt Gleise verrosten, sollten wir ein weltweites Vorzeigeprojekt im ökologischen Städtebau planen. Warum bauen wir nicht einen Stadtteil, der energieautark ist und sich komplett selbst versorgt über Fotovoltaik, Wind und Biomasse?", sagte der CDU-Politiker.

Der in Stuttgart ansässige evangelische Landesbischof der Württembergischen Kirche, Frank Otfried July, warnte davor, Heiner Geißlers Chancen als Schlichter im Vorwege kleinzureden. "Wir Bischöfe sehen Heiner Geißler als unabhängigen Geist und hoffen, dass er Erfolg hat. Gebt dem Mann eine echte Chance", sagte July dem Abendblatt. Zugleich bot July eine Teilnahme der Kirchen an der Schlichtung an.

"Ich will nicht einen Misserfolg der Schlichtung herbeireden. Aber ich sage auch: Wir Kirchen sind bereit, die Schlichtung zu begleiten", so der Bischof. "Wenn man die Kirchen in diesem Prozess will, werden wir bereit sein, Gesprächsbrücken zu bauen." Auch July nannte Grundvoraussetzungen für eine Schlichtung: Man brauche "sichtbare Zeichen" der Ernsthaftigkeit. "Was Geißler Friedenspflicht nennt, ist eine Grundvoraussetzung für die Gespräche." July warnte die Koalition: "Die Regierung darf die Proteste nicht aussitzen wollen, sondern muss die Ängste und Fragen der Menschen ernst nehmen. Gegner und Befürworter des Projekts müssen sich die jeweiligen Argumente gut ansehen."

FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger gab sich wenig optimistisch bei der Frage, ob Geißler der richtige Schlichter sei. "Diese Begriffsverwirrung", die stattgefunden habe, "war schon bemerkenswert. Das hätte nicht passieren dürfen." Zu Geißler fiel ihr nur wenig Gutes ein: Der frühere CDU-Generalsekretär sei der Vorschlag von Mappus. "Das ist ein Vorschlag, den man machen kann." Sie glaube zwar, dass Geißler viel Erfahrung als Schlichter habe, fügte aber hinzu: "Ich hatte so etwas schon fast befürchtet."