Wirtschaftsflügel der Partei fordert Rente mit 70 und radikale Steuervereinfachung

Berlin. Kurt Lauk ist begeistert. "Wir stellen mit Genugtuung fest, dass in Deutschland wieder regiert wird", frohlockt der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates. Die Kanzlerin habe nach der Sommerpause "Kante gezeigt" und ihre Ankündigung für einen "Herbst der Entscheidungen" wahr gemacht, lobt der Vertreter des Wirtschaftsflügels, der Partei und Chefin sonst eher mit wirtschaftsliberalen Forderungen nervt. Doch in diesem Herbst habe die Kanzlerin - endlich, endlich - alles richtig gemacht. "Vorwärtsstrategie" nennt Lauk das anerkennend und listet auf: Sparpaket und Energiekonzept, das Aussetzen der Wehrpflicht, die Gesundheitsreform und der neuen Hartz-IV-Regelsatz. Warum nicht gleich so?

Bis zur Basis des Wirtschaftsflügels ist die neue Vorwärtsstrategie der Kanzlerin freilich noch nicht vorgedrungen. In einer Umfrage von TNS Emnid unter 2809 Mitgliedern des Wirtschaftsrates - laut Lauk die größte und repräsentativste Unternehmerumfrage in Deutschland - können sie die Euphorie ihres Präsidenten nicht teilen. 70 Prozent der Befragten kritisierten bei der Befragung Mitte September den Charakter der Union als "zunehmend sozialdemokratisch". 86 Prozent beklagten, das wirtschaftspolitische Profil der Union habe seit Regierungsbeginn der schwarz-gelben Koalition abgenommen. Eine die positive Sicht auf die Gesamtlage nach der Krise mögen nicht alle teilen und sehen statt dassen noch großen Handlungsbedarf..

Lauk sieht in der Umfrage dennoch "Rückenwind für die Kanzlerin", den "Herbst der Entscheidungen" auch wirklich durchzusetzen. Schließlich sei die Umfrage "unter dem Eindruck des gefühlten Stillstands des Regierungshandelns im Frühjahr und Sommer" entstanden. Die Bürger hätten viel mehr Mut und Bereitschaft zu Reformen, als die Politik ihnen zutraut, ist Lauk überzeugt. Der Regierung rät er zu "mehr Tempo" - und legt gleich eine Liste für die nächsten Reformen vor. Viele Posten aus dem umfangreichen Forderungskatalog dürften der Kanzlerin bekannt vorkommen: Von "rigorosem Defizitabbau" ist da die Rede, von "rigoroser Steuervereinfachung", einem deutlichen Abbau des Mittelstandsbauchs und einem neuen Zuwanderungsgesetz mit Punktesystem. Auch die rund 100 familienpolitischen Maßnahmen sollen auf den Prüfstand.

Die Hartz-IV-Reform reicht dem Wirtschaftsrat nicht aus: Gesunde Arbeitslose sollen nach seinen Vorstellungen stärker zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden. Außerdem sollen die Hartz-IV-Empfänger von Zuverdiensten über 200 Euro mehr behalten können als heute. Dies sei ein Anreiz, "die Hartz-IV-Empfänger aus der sozialen Hängematte zu locken". Damit sich Arbeit lohne, dürfe der Regelsatz nicht über die jetzt geplanten fünf Euro hinaus erhöht werden.

Doch nicht nur die Arbeitslosen, auch die Rentner nimmt der Wirtschaftsrat ins Visier. Die Rente mit 67 - von der sich die SPD gerade verabschiedet - reicht ihm nicht aus. Mehr als die Hälfte der befragten Wirtschaftsratsmitglieder sind der Überzeugung, dass angesichts der Bevölkerungsalterung eine weitere Erhöhung des Rentenalters dringend nötig sein wird. "Die Rente mit 70 kann in Zukunft kein Tabu sein", lautet die Schlussfolgerung des Wirtschaftsrats.