Die Kanzlerin und der SPD-Chef liefern sich ein mitreißendes Rededuell im Bundestag. Eine Dokumentation

Berlin. Sie haben sich nichts geschenkt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel lieferten sich gestern im Deutschen Bundestag einen großen Schlagabtausch. Beide nahmen das mit Spannung erwartete Aufeinandertreffen in der traditionellen Generaldebatte über den Kanzleretat zum Anlass, ihre Zwischenbilanz zu ziehen. Dabei hielten sie sich gegenseitig Versagen bei der Bewältigung von Zukunftsaufgaben vor.

Merkel kritisierte an der SPD, dass sie die Maßnahmen zur Stabilisierung des Euros nicht unterstützt habe. Merkel hielt der Opposition auch vor, zu den Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft keine Lösungsvorschläge gemacht zu haben. Die Veränderungen im Altersaufbau der Gesellschaft würden von Teilen der Opposition nicht zur Kenntnis genommen. Wer aber glaube, darauf nicht reagieren zu müssen, "wird Politikverdrossenheit und Enttäuschung über Politik ernten". Als Erfolg nannte sie mehrfach den Rückgang der Arbeitslosigkeit.

SPD-Chef Sigmar Gabriel attestierte Merkel dagegen eine "katastrophale Bilanz". Sie habe sich "zur Kanzlerin der Konzerne" gemacht. Den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2011 bezeichnete Gabriel als ungerecht. Bis heute zahlten die Finanzmärkte "keinen Cent zur Beseitigung der Schulden der Finanzkrise", sagte Gabriel und forderte erneut die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Das Abendblatt dokumentiert die wichtigsten Zitate:

Wirtschaft und Finanzen waren heftig umstritten

Sigmar Gabriel: "Frau Bundeskanzlerin, der Grund für Ihre katastrophale Jahresbilanz ist ja nicht nur, dass Sie handwerklich schlecht arbeiten. Der eigentliche Grund ist, dass Ihnen und Ihrem Wunschkoalitionspartner von Anfang an jede Vorstellung davon fehlte, was eigentlich Gemeinwohl in Deutschland ist. (...) Was hatten Sie vorher nicht alles versprochen? Mehr Netto vom Brutto und eine Steuersenkung mit einem Umfang von 24 Milliarden Euro. Das Gegenteil kommt heute heraus: höhere Kassenbeiträge, Zusatzbeiträge und höhere Gebühren, weil Sie die Kommunen ausbluten, und neue Steuern wie die Luftverkehrsabgabe. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Es gibt mehr Netto vom Brutto als Dankeschön an Hoteliers, reiche Erben und große Konzerne."

Angela Merkel: "Diese weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat unsere politische Arbeit in den letzten zwei Jahren tief geprägt. Heute, zwei Jahre später, können wir festhalten: Wir haben ein großes Stück des Weges geschafft. Wir haben Grund für Zuversicht. Die Wahrheit ist: Viele haben uns das nicht zugetraut, aber wir haben gezeigt, was in uns steckt. (...) Als ich vor knapp fünf Jahren Bundeskanzlerin wurde - nach sieben Jahren Rot-Grün -, lag die Arbeitslosigkeit bei fast fünf Millionen. Heute sind es knapp über drei Millionen. Das ist der Erfolg der Arbeit und auch der Erfolg der Arbeit der christlich-liberalen Koalition. (...) Wir als christlich-liberale Koalition wissen, vor welchen Aufgaben wir in den nächsten Jahren stehen: der veränderte Altersaufbau unserer Gesellschaft, der globale Wettbewerb, der zunimmt (...) Auf keine dieser Herausforderungen sind Sie eingegangen, Herr Gabriel, geschweige denn, dass Sie irgendeinen Lösungsvorschlag gemacht haben. Deshalb beobachten wir mit Interesse, wie Sie Schritt für Schritt eine Rolle rückwärts machen, statt in die Zukunft zu blicken. Wir sagen: Dies ist der Herbst der Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen in Deutschland für das neue Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020. Das ist unser Anspruch, und dem werden wir gerecht."

Vor allem an der Atomfrage scheiden sich die Geister

Sigmar Gabriel: "In der Energiepolitik schustern Sie vier Konzernen 100 Milliarden Euro zu (...) Sie predigen Wettbewerb, und in Wahrheit bedienen Sie die Oligopole (...) Ich will mit Ihnen nicht über Sinn oder Unsinn der Atomenergie streiten und auch nicht über die wirklich widersinnige Politik gegen einen der wichtigsten Leitmärkte, die Deutschland aufzuweisen hat, nämlich den der erneuerbaren Energien (...) Wenn Sie wirklich glauben, den vier Konzernen die Förderung der erneuerbaren Energien anzuvertrauen, also der mittelständischen Wirtschaft, dann glauben Sie bestimmt auch, Sie könnten Gänse vom Sinn von Weihnachten überzeugen. (...) Sie merken überhaupt nicht, was Sie in Deutschland anrichten. Noch nie hat sich eine Regierung so sehr zum Handlanger von Großkonzernen degradiert. (...) Ich sage Ihnen: Sie machen sich selber zur Kanzlerin der Konzerne."

Angela Merkel: "Dieses Energiekonzept beruht seit langer Zeit zum ersten Mal auf klaren Analysen, wie sich die Entwicklung gestalten wird, soweit man dies für zehn, zwanzig oder dreißig Jahre vorhersagen kann. (...) Ich glaube, es macht keinen Sinn, ideologiegetriebene Energiepolitik zu machen, sondern es macht Sinn, eine rationale, vernünftige Energiepolitik mit einem klaren Ziel zu machen. In diesem Energiekonzept gibt es Brückentechnologien, ja. Das ist die Kernenergie; das sind die Kohlekraftwerke. Die brauchen wir, und wir tun den Menschen keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob wir das alles nicht mehr brauchen, den Bau jedes modernen Kohlekraftwerks verhindern und aus ideologischen Gründen die Kernkraftwerke abschalten."

Kanzlerin verteidigt die Kürzungen im Sozialbereich

Sigmar Gabriel: "Heute streichen Sie das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger und geben den Gutverdienern 1800 Euro im Monat. Mehr als 100 000 Familien, fast 50 000 Alleinerziehende, bekommen deshalb nächstes Jahr 3600 Euro weniger. Das ist die Wahrheit über Ihre Familienpolitik. (...) Die einen leben in Saus und Braus und zocken am Ende die ganze Welt in die Krise. Die anderen, die hart arbeiten, bekommen immer weniger und sollen jetzt die Zeche zahlen."

Angela Merkel: "Ob zwei Millionen Menschen weniger arbeitslos sind oder nicht, das ist eine zentrale Frage der Gerechtigkeit in unserem Land. Wenn Sie über Gerechtigkeit und Solidarität sprechen, dann ist Arbeit einer der entscheidenden Punkte. (...) Wir haben natürlich in den letzten zehn Monaten wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Wir haben eine Kreditklemme verhindert. Wir haben Familien mehr Kindergeld gegeben (...) Wir haben die Lohnzusatzkosten stabilisiert. Das alles hat dazu geführt, dass wir heute die Wachstumslokomotive in Europa sind, meine Damen und Herren.