Der Hamburger Historiker Prof. Axel Schildt über das Phänomen des “Bewahrens“

Hamburger Abendblatt:

Was ist konservativ?

Axel Schildt:

Umgangssprachlich alles, woran man hängt, was als seriös gilt. Eine konservative Anlage bei der Bank beispielsweise ist nicht spekulativ und wird positiv bewertet.

Und politisch?

Schildt:

Eine Strömung, die Ende des 18. Jahrhunderts als Reaktion zur Aufklärung entstand. Damals galt: Alles, was vorhanden ist, muss sich mit Vernunft rechtfertigen lassen. Die Konservativen lehnten das ab, weil wir eben nicht alles erklären könnten.

Wie ging es weiter?

Schildt:

Um 1830 herum wandte sich der Begriff gegen die nationalen und liberalen Strömungen im Land. Die Konservativen wollten die Rechte des Adels wahren. 1890 zog zum ersten Mal in den Konservatismus auch ein antisemitisches Element ein. Im Zuge dessen paktierte 1933 die Deutschnationale Volkspartei mit den Nationalsozialisten.

Und nach 1945?

Schildt:

Da wollte niemand mehr konservativ sein. Er ist den 50er-Jahren tauchte der Begriff mit den rechten Parteien wieder auf. 1962 gab es schon mal eine Debatte wie heute. Die Zeitschrift "Der Monat" fragte: Was ist konservativ? Damals entstand auch der Begriff "wertkonservativ". Damit ist der Erhalt der Menschheit gemeint und eine Politik, die nicht nur auf Wachstum setzt.

Wie entsteht konservatives Denken?

Schildt:

Das ist immer geknüpft an ein Gefühl von Bedrohung. Ob nun durch die Arbeiterbewegung oder wie heute durch das Thema Überfremdung, das Thilo Sarrazin aufgebracht hat.

Sind Christen per se konservativ?

Schildt:

Nicht notwendig, aber vom historischen Ausgangspunkt schon.

Und die Grünen?

Schildt:

Mindestens wertkonservativ.

Und wenn Angela Merkel sagt: Mal bin ich liberal, mal christlich-sozial, mal konservativ.

Schildt:

Dann beschreibt sie an ihrer Person die Strömungen in ihrer Partei.

Kann man Konservative eigentlich an der Kleidung erkennen?

Schildt:

Nein. Der konservative Politologe Wilhelm Hennis hat mal auf die Frage, was gut an den 68ern war, geantwortet: die lockere Kleidung.

Ist konservativ noch ein Schimpfwort?

Schildt:

Heute nicht mehr, der Begriff hat gerade wieder Konjunktur.