Nach einem Städtevergleich des Statistischen Bundesamts liegt die Gefahr in Hamburg unter dem Bundesschnitt

Hamburg/Wiesbaden. In Deutschlands großen Städten kann man schnell arm werden. Nach einer gestern in Wiesbaden veröffentlichten Aufstellung des Statistischen Bundesamtes ist das Armutsrisiko in Leipzig am größten. Dort läuft jeder vierte Einwohner (27 Prozent) Gefahr, in die Armut abzurutschen. Hamburg hingegen hat nach München (9,8 Prozent) die zweitbeste Quote. In der Hansestadt leben nur 13,1 Prozent der Einwohner mit einem Armutsrisiko. Als arm gilt nach der Definition der EU, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung auskommen muss. Ausgewertet wurden die Daten des Mikrozensus 2008 der 15 deutschen Großstädte mit mehr als einer halben Million Einwohner.

Neben München und Hamburg liegt das Armutsrisiko nur in Frankfurt am Main (13,7 Prozent) unter dem Bundesdurchschnitt von 14 Prozent. Besonders hoch ist es nach Leipzig in den Städten Hannover (22,2), Bremen (22), Dresden (21,5), Dortmund (21,3) und Duisburg (19,2).

"Die Gründe für diese Entwicklung liegen darin, dass es in Großstädten mehr zersplitterte Familien gibt, eine höhere Migrantenquote und dass Menschen, die sich kein Eigenheim leisten können, meist in die Stadt ziehen müssen", sagte die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Anette Kramme.

Darin sieht auch der Politologe und Fachbereichsleiter des Statistischen Landesamtes Hannover, Lothar Eichhorn, den Grund für das schlechte statistische Abschneiden der Großstädte. "Bestimmte Risikogruppen wie Alleinerziehende, Migranten und Erwerbslose, die besonders armutsgefährdet sind, konzentrieren sich immer besonders stark in Großstädten. Das begünstigen auch die industriellen Strukturen in solchen Städten. In Duisburg und Dortmund ist diese Struktur weggebrochen, aber die Menschen sind geblieben", sagte er dem Abendblatt. "In allen Großstädten gibt es viele Arme und viele Reiche, aber wenige in der Mitte, daher ist die Ungleichheit innerhalb der Städte besonders groß."

Gerade in Städten, die wirtschaftlich nicht prosperierten, würden - wie die Zahlen untermauerten - mehr Menschen mit geringerem Einkommen leben, meint der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus. Die ohnehin angeschlagenen Finanzen der Städte und Kommunen drohten damit in einen Teufelskreis zu geraten. "Für die Städte heißt das, sie müssen immer mehr Mittel beispielsweise für Unterkunftskosten von Arbeitslosen ausgeben. Auch die Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche sind in den Städten überproportional hoch und belasten die kommunalen Haushalte", sagte er dem Abendblatt. "Deshalb setzt sich der Deutsche Städtetag in der seit März arbeitenden Gemeindefinanzkommission dafür ein, die Kommunen spürbar bei den ungebremst steigenden Sozialausgaben zu entlasten, damit die Städte handlungsfähig bleiben und sich nicht immer weiter verschulden müssen."

Die SPD-Sozialpolitikerin Kramme zeigte sich alarmiert von den Zahlen. "Die Entwicklung bereitet mir hochgradig Sorgen, denn sie hängt mit der Lohnentwicklung in Deutschland und der Ausbreitung des Niedriglohnsektors zusammen", sagte sie. Sie betonte deswegen die Forderung ihrer Partei nach Mindestlöhnen und der Eindämmung von befristeten Arbeitsverhältnissen. Der Statistiker Eichhorn warnt allerdings auch vor Fehlinterpretationen der Zahlen. Er hält die Armutsdefinition von weniger als 60 Prozent des Einkommensdurchschnitts für "völlig unzureichend". Das liegt für ihn unter anderem darin, dass bei dieser Berechnung nur die Verteilung der Einkommen gemessen worden sei, ohne die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Mieten, zu berücksichtigen.

Hinzu komme: "In Städten wie Hamburg und München, wo die Mieten sehr hoch sind, erhalten die Empfänger von Sozialleistungen auch höhere Mietzuschüsse, die in der Erhebung aber zum Einkommen gezählt werden." Deswegen würden höhere Mieten zumindest in der Statistik zu geringerer Armut führen. "Dadurch wird die Armutsgefahr in solchen Städten krass unterschätzt, während sie dagegen zum Beispiel in Hannover, wo es niedrigere Zuschüsse gibt, stark überschätzt wird", sagte Eichhorn.