Experten halten eine Verfassungsbeschwerde für möglich

Berlin. Nach der heftigen Debatte um den Internetdienst Google Street View halten Rechtsexperten ein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht für möglich. Der Ex-Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, sagte dem Magazin "Focus", ein Stopp von Street View durch die Karlsruher Richter sei nicht auszuschließen, "wenn das Bundesverfassungsgericht bei seiner alten Linie bleibt". Hassemer beruft sich dabei auf das Volkszählungsurteil von 1983. Demnach muss jeder Bürger die Herrschaft über seine persönlichen Daten behalten. "Das ist bei diesen Informationstechnologien nicht zu schaffen", so Hassemer.

Der Bonner Verfassungsrechtler Wolfgang Löwer sagte dem Abendblatt, auch er sehe die Möglichkeit für einen Stopp des Geodatendienstes durch das Bundesverfassungsgericht. "Der Staat hat die Pflicht, die persönlichen Daten der Menschen zu schützen", so Löwer.

"Wenn das jemand gegenwärtig nicht ausreichend gewährleistet sieht, kann er die Karlsruher Richter anrufen und Verfassungsbeschwerde einlegen." Im Erfolgsfall müsste die Bundesrepublik Google Street View dann so lange verbieten, bis ein Gesetz die Angelegenheit regelt. Streitpunkt ist dabei die Frage, für wie persönlichkeitsrelevant das Bild einer Häuserfassade erachtet wird. Nach Löwers Ansicht könnte es in diesem Punkt schwierig werden. "Problematisch ist vielmehr die leichte Verknüpfbarkeit mit anderen Daten", so Löwer. "Aber auch hier ist der Bezug zum Persönlichkeitsrecht nur geringfügig. Ich glaube nicht, dass das Gericht tatsächlich einschreiten würde."

Seit der US-Internetkonzern Google vor zwei Wochen angekündigt hatte, Street View ab Ende des Jahres zunächst in den 20 größten deutschen Städten verfügbar zu machen, regt sich heftiger Widerstand. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) bekräftigte am Wochenende ihre Kritik an dem Fotodienst, der komplette Straßenzüge in einer 360-Grad-Ansicht abbildet. "Google ist angetreten, die Welt transparenter zu machen. Ich würde es begrüßen, wenn das Unternehmen selbst etwas mehr Transparenz zeigen würde", sagte sie der "Rheinischen Post". Die Ministerin forderte das Unternehmen auf, die Anzahl der Widersprüche gegen den Dienst offenzulegen. "Seit Monaten häufen sich die Widersprüche gegen Street View, aber wir haben noch immer keine Angaben darüber, wie viele Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland bisher bei Google eingegangen sind."

Als Reaktion auf die massive Kritik aus Deutschland hatte Google zuletzt angekündigt, die Vorab-Widerspruchsfrist um vier Wochen bis zum 15. Oktober zu verlängern.