Hinter der Debatte um die Bezüge des Parteivorsitzenden Klaus Ernst werden die eigentlichen Probleme der Partei erkennbar

Berlin. Klaus Ernst will "den Menschen Mut machen, für die eigenen Interessen einzustehen". So steht es auf der Homepage des Linkspartei-Chefs. Ganz oben, gewissermaßen als Motto. Aber was gestern noch gänzlich unverfänglich wirkte, entfaltet heute die verheerende Wirkung eines moralischen Bumerangs. Ernst, heißt es, bediene vor allem seine eigenen Interessen.

Statt in Berlin Opposition zu machen, kämpft die Linke mit dem angeschlagenen Ruf ihres Parteivorsitzenden, der sein Amt gerade einmal seit drei Monaten versieht. Intern wie extern gibt es scharfe Kritik an der "Selbstalimentierung" des 55-Jährigen, der neben seiner Abgeordnetendiät von 7668 Euro und den 1913 Euro von der Bundestagsfraktion auch noch 3500 Euro aus der Parteikasse bezieht.

Und damit nicht genug. Anfang Juli leitet die Berliner Staatsanwaltschaft auch noch ein Verfahren wegen des Verdachts auf Untreue gegen Ernst ein: Dem Gewerkschafter und Abgeordneten wird vorgeworfen, Flüge zu Gewerkschaftstreffen und zu Aufsichtsratssitzungen unrechtmäßig über den Bundestag abgerechnet zu haben.

Der muntere Münchner, der politisch gern die Überzeugung propagiert, dass sich die anderen Parteien längst auf die Linkspartei zubewegen, muss nun erleben, dass man sich von ihm wegbewegt. Und zwar nicht nur an der Parteibasis, wo inzwischen vom "Raffke" Ernst die Rede ist und von wo auch schon die Aufforderung kam, Ernst möge den Parteivorsitz bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen lassen. ("So kannst du zeigen, dass dir das Wohl der Partei über deine eigene Karriere geht ...") Wenn Ernst Loyalitätsbekundungen aus der Berliner Parteizentrale erwartet hat - immerhin verdient er nicht mehr als sein Vorvorgänger Lothar Bisky -, so hat es sie nicht gegeben. Ernsts Kovorsitzende Gesine Lötzsch beließ es bei der Bemerkung, sie wolle das Thema jetzt "nicht weiter auswalzen", und der ehemalige Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine meinte, es mache keinen Sinn, wenn sich die Partei wochenlang öffentlich mit einer einzigen Frage beschäftige.

Klaus Ernst ist am vergangenen Sonnabend zum vorerst letzten Mal öffentlich aufgetreten. Beim Sommerfest des Linkspartei-Kreisverbandes Aalen. Anschließend ist er abgetaucht. Offenbar auch zur Überraschung der restlichen Parteiführung, die am Montag zur Kenntnis nehmen musste, dass Ernst nicht zur lange angekündigten Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus antrat. Eine Parteisprecherin improvisierte dort zwar etwas von "unaufschiebbaren Terminen", aber besonders überzeugend klang das nicht.

Gestern konnte man in der Berliner Parteizentrale nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob der Parteivorsitzende nun bereits im Urlaub weilt oder nicht. Saisonal könnte man die Debatte um Klaus Ernst unter dem Stichwort "Sommertheater" abhaken, wenn dahinter nicht die grundsätzlichen Probleme einer Partei sichtbar geworden wären, die 2007 aus dem Zusammenschluss der ostdeutschen PDS, vormals DDR-Staatspartei SED, und der westdeutsch geprägten WASG entstanden ist. Einer Partei, die bis heute kein Grundsatzprogramm hat und sich nur an "Eckpunkten" entlanghangelt. Einer Partei, in der die bekennende Kommunistin Sahra Wagenknecht - die man politisch bereits endgültig im Off gewähnt hatte - zur stellvertretenden Parteivorsitzenden aufsteigen konnte.

Die Linke, die sich Mitte Mai nach Lafontaines Abgang um des lieben Friedens willen auf eine Kompromiss-Parteispitze geeinigt hat - halb Ost, halb West, halb weiblich, halb männlich -, hat bis heute nicht geklärt, was sie unter "demokratischem Sozialismus" versteht, beziehungsweise unter dem von ihr angestrebten anderen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Geschweige denn, was man sich unter der "Kapitalismusanalyse" und anderen "Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe" vorstellen soll, die Wagenknecht angekündigt hat.

Die Wahlerfolge, die die Linke in den alten Bundesländern erzielt hat, können nicht verdecken, dass sie inhomogener ist als es die Linkspartei.PDS zuletzt war. Unter der Führung von Oskar Lafontaine sind die alten Enteignungsfantasien, die die SED-Nachfolgepartei schon hinter sich gelassen hatte, wieder aufgekeimt. Diesen Fantasien hängt man nun in den westlichen Kadern nach. Im Osten war man schon mal deutlich weiter.