Branche verdient an geplanter Familienpflegezeit. Opposition spricht von Klientel-Politik

Hamburg. Spätestens ab Ende dieses Jahres will die Bundesregierung Arbeitnehmern ermöglichen, in Familienpflegezeit zu gehen. Wer das Angebot annimmt, muss nach Vorstellungen des Familienministeriums eine Versicherung abschließen - für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Lohnvorschuss nach der Pflegezeit wegen Berufsunfähigkeit oder Tod nicht zurückzahlen kann. An diesem Konzept, von dem die Versicherungswirtschaft profitieren wird, hat auch eine Versicherung mitgeschrieben. Das hat das Ministerium dem Abendblatt bestätigt.

Offenkundig wurde das Engagement der Nürnberger Versicherungsgruppe, nachdem Linken-Vorsitzender Klaus Ernst die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten hatte. In dem Regierungsschreiben an Ernst, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es, "dass im Zusammenhang mit Erstellung des Gutachtens die Nürnberger Versicherungsgruppe sowie die Kreditanstalt für Wiederaufbau Bankengruppe einbezogen wurden". Die Familienpflegezeit sieht vor, dass Arbeitnehmer zur Pflege ihrer Angehörigen zwei Jahre lang halb arbeiten und dabei 75 Prozent des Gehalts beziehen können. Später müssten sie dann wieder voll arbeiten, bekämen aber zwei Jahre weiter 75 Prozent des Gehalts. Der Abschluss besagter Versicherung gegen mögliche Lohnausfälle ist dabei Pflicht für den Arbeitnehmer.

Die Grünen kritisieren die Vorgehensweise des Ministeriums. "Es ist mal wieder typisch für diese Bundesregierung, dass sie zuerst ihre eigene Klientel bedient", sagte Elisabeth Scharfenberg, Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik in der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Abendblatt. "Die größten Nutznießer der geplanten Familienpflegezeit sind die Versicherungen, aber nicht die pflegenden Angehörigen." Es dränge sich der Verdacht auf, dass bei dem geplanten Gesetz "die Versicherungsbranche ein zu großes Mitspracherecht hat".

Das Familienministerium sieht in der Beteiligung der Versicherung an dem Konzept dagegen nichts Verwerfliches. Die geplante "Lohnvorschussausfallversicherung" sei nicht in Absprache mit der Versicherungsbranche erarbeitet worden, sagte eine Ministeriumssprecherin. Vielmehr habe man das Gutachten bei der MaschmeyerRürup AG in Auftrag gegeben und dieser Firma "keine Vorgaben hinsichtlich der Einbindung von weiteren Akteuren gemacht". Aus dem vorliegenden Konzept ergebe sich nur, dass die versicherungsmathematischen Berechnungen und Schadentabellen in Zusammenarbeit mit der Nürnberger Versicherungsgruppe auf Machbarkeit und Kalkulationsgrundlagen "geprüft" worden seien.

Carsten Maschmeyer, früherer Vorstandschef des Finanzdienstleisters AWD, und Bert Rürup, Ex-Wirtschaftsweiser und Erfinder der Rürup-Rente, stehen hinter der beauftragten Beraterfirma. Sie entwickelt seit Anfang 2010 Konzepte zur Altersvorsorge und zur Absicherung von Gesundheitsrisiken. Für das Versicherungskonzept, an dem die Nürnberger Versicherungsgruppe mitschrieb, zahlte das Familienministerium nach eigenen Angaben an Rürup 47 500 Euro plus Mehrwertsteuer.