Fünf Frauen gehören zur neuen NRW-Regierung. Die erste Kraftprobe wurde gleich verschoben

Hamburg/Düsseldorf. Die Gefahr war einfach zu groß. Und das wussten alle. Die neue Landeschefin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD). Ihre neue Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne). Die Mitglieder der rot-grünen Regierungskoalition im Landtag. Eigentlich sollte es dort gestern um eines der wichtigsten Projekte gehen, mit denen Kraft im Frühjahr in den Wahlkampf gezogen war: die Abschaffung der Studiengebühren zum Wintersemester 2011. Erst 2006 waren sie von der schwarz-gelben Vorgängerregierung unter Jürgen Rüttgers (CDU) eingeführt worden.

Das Problem allerdings: Krafts Koalition fehlt eine Stimme zur Mehrheit. Und die Linkspartei hatte schon im Vorfeld einen eigenen Antrag angekündigt, nach dem die Gebühren nicht erst 2011, sondern schon ab sofort fallen sollten. Mit Spannung wurde also verfolgt, ob es der neuen Regierung gelingen würde, die notwendige Mehrheit zu beschaffen. Oder ob das Experiment Minderheitsregierung schon gleich beim ersten Gesetzesvorhaben scheitert. Passiert allerdings ist gar nichts. Die Entscheidung wurde vertagt. Am ersten Arbeitstag der neuen Regierung schien das Risiko einfach zu groß.

Leichter war es da ein paar Stunden zuvor, als Kraft offiziell ihre Kabinettsliste vorstellte. Bis zuletzt hatte sie sie geheim gehalten - um enttäuschte Genossen und damit mögliche Abweichler zu vermeiden, die ihre Wahl zur Ministerpräsidentin gefährden könnten. Jetzt aber sind alle Namen klar - und die Hälfe davon weiblich. "Ich bin stolz, ein mit Frauen und Männern paritätisch besetztes Kabinett vorstellen zu können", sagte Kraft. "Das ist ein wichtiges Signal für eine andere Politik in Nordrhein-Westfalen. Auch das ist ein Politikwechsel." Nie zuvor hat es mehr Frauen in der nordrhein-westfälischen Politik gegeben.

Allerdings: Große und bekannte Namen fehlen, genauso wie angesehene Bundespolitiker. "Auf einen Koalitionsvertrag ohne Visionen folgt ein Kabinett ohne Glanz", erklärte CDU-Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann. "Weil die eigenen Genossen nicht an die Zukunft der Minderheitsregierung glauben, gaben sie Frau Kraft einen Korb." Optimistisch gibt sich die neue Landeschefin trotzdem - und bemühte einen Fußballvergleich: "Ein Rückblick auf die Fußball-WM zeigt ja deutlich: Ein gutes Team kann ganz weit kommen."

Dafür allerdings muss sie sich künftig ihre Mehrheiten im Parlament zusammenorganisieren - und bei jeder Abstimmung mindestens ein Mitglied aus CDU, FDP oder Linkspartei ins Boot holen. Zunächst aber versucht sie, Vorwürfe zu zerstreuen, sie sei künftig nur auf das Wohlwollen der Linkspartei angewiesen. Gerade im Vorfeld ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin waren entsprechende Bedenken immer wieder laut geworden, nicht zuletzt weil Kraft selbst die Linke noch vor Wochen als "nicht regierungsfähig" bezeichnete. CDU und FDP hatten ihr deshalb wiederholt Wortbruch vorgeworfen. Rot-Grün in Düsseldorf sei in Wahrheit ein rot-rot-grünes Bündnis, so wurde es immer wieder gesagt.

Kraft hofft dennoch auf eine Kooperation - vielleicht nicht sofort, aber so bald wie möglich. "Bei Union und FDP sind die Wunden derzeit noch sehr tief. Aber es kann sein, dass das nach der Sommerpause vielleicht schon wieder anders aussieht", sagte sie der "Rheinischen Post". Freuen dürfte die neue Landeschefin, dass man sich im Oppositionslager eine Zusammenarbeit vorstellen kann. "Wenn Frau Kraft etwas vorlegt, was gut fürs Land ist und was der CDU-Politik entspricht - warum sollten wir dann nicht mitmachen?", sagte Laumann derselben Zeitung.

Linken-Chef Klaus Ernst allerdings hält diese Taktik nicht für zukunftsfähig: "Wenn Union und FDP für die Gesetze von Rot-Grün stimmen sollen, dann hätte ja auch Rüttgers im Amt bleiben können. Das wäre kein Politikwechsel", sagte er dem Abendblatt. "Will Frau Kraft Chefin einer stabilen Regierung sein, dann muss sie einen dauerhaften Gesprächsfaden zur Linken aufbauen. Je belastbarer die Vereinbarungen sind, desto stabiler ist die Regierung. Die beste Lösung wäre immer noch eine Koalition unter Einschluss der Linken."

Bei der Union wird heute weiter um den Nachfolger von Jürgen Rüttgers beraten, der seinen Parteivorsitz nun doch schon nach der Sommerpause abgeben will. Als chancenreiche Kandidaten werden Bundesumweltminister Norbert Röttgen und die Landespolitiker Andreas Krautscheid und Armin Laschet gehandelt.