Notare sollen hoheitliche Aufgaben von Gerichten übernehmen

Hamburg. Den Erben in Deutschland drohen gravierende Änderungen. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung und einiger Länder, sollen künftig Notare und nicht mehr die Gerichte die Erbscheine ausstellen. Dadurch verzichtet der Staat auf Einnahmen in Millionenhöhe - und für die Erben dürfte es teurer werden. Denn die Notare verlangen zwar für einen Erbschein dieselben Gebühren wie das Gericht. Allerdings erheben sie die Mehrwertsteuer von 19 Prozent.

Das Deutsche Forum für Erbrecht stemmt sich gegen die Novelle, für die das Grundgesetz geändert werden müsste. Denn den Notaren würde quasi eine hoheitliche Aufgabe übertragen. "Die Gerichte verlieren eine Einnahmequelle und damit die öffentlichen Haushalte viel Geld. Es ist mir unbegreiflich, wie man auf eine solche Idee kommen kann, den Notaren die Erbscheine zu übertragen. Das ist praxisfern. Denn Erbscheine sind oft Ergebnisse des Streits darum, wer was erbt. Da geht es um die Auslegung eines Testaments. Das muss ein Richter entscheiden", empört sich Forums-Präsident Klaus Michael Groll im Abendblatt. Groll ist selbst Fachanwalt für Erbrecht.

Die Bundesnotarkammer sieht kein Problem: "Nachlassverfahren dauern lange", sagte Kammersprecher Thomas Diehn dem Abendblatt. "Unternehmensnachfolger können nicht lange warten." Die Notare könnten flächendeckend die Erbscheine ausstellen und die Fälle aus einer Hand bearbeiten.

Genau da sieht Erbrechtsexperte Groll das gewichtigste Problem: "De facto sind Notare zunächst einmal Unternehmer. Sie leben von ihren Klienten." Ein Erbschein sei keine Formalie. "Um den Erbschein wird erbittert gekämpft, ganz unabhängig von der Größe des Vermögens. Und nun soll ein Notar, der in vielen Fällen eine der Parteien kennt und von ihr lebt, entscheiden, wem das Erbe zufließt."

Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf bereits an den Bundestag weitergeleitet. Die Gerichte sollen von der Arbeit mit den Erbscheinen entlastet, die Staatskasse gefüllt werden mit den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, die zukünftig anfiele. Doch der Deutsche Richterbund hat auch seine Zweifel, ob die Rechnung "weniger Aufwand, weniger Gebühren, dafür mehr Steuereinnahmen" für den Staat aufgeht. In einer Stellungnahme heißt es: Die Übertragung der Erbschein-Bearbeitung an die Notare "führt zu erheblichen Mehrkosten für die Bürger bei allenfalls geringen Mehreinnahmen für den Staat".

In Hamburg gibt es ebenfalls Widerstand gegen die Pläne. Justizsenator Till Steffen (GAL) sagte dem Abendblatt: "Bei einer Aufgabenübertragung wird nach meiner Überzeugung eine bisherige gut aufgestellte juristische Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger teurer und weniger effektiv." Bei Streit um die Erbscheine müssten die Gerichte ohnehin eingreifen. "Das rechnet sich daher auch nicht für die Justizhaushalte. Daher hat Hamburg diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt."