Wird Hannelore Kraft heute Ministerpräsidentin, muss sie sich auf eine schwierige Zukunft einstellen

Hamburg. Eigentlich kann kaum etwas schiefgehen. Wenn der nordrhein-westfälische Landtag heute um 12 Uhr zusammenkommt, sieht es gut aus für Hannelore Kraft. Die Chefin des SPD-Landesverbands will sich zur Ministerpräsidentin wählen lassen - und damit zur Spitze einer rot-grünen Minderheitsregierung. Dafür braucht sie im ersten Wahlgang 91 Stimmen der 181 Abgeordneten. Allerdings kommen SPD und Grüne zusammen auf nur 90 Mandate. Wenn sich die elf Mitglieder der Linkspartei wie angekündigt enthalten, dürfte es im zweiten Wahlgang für Kraft reichen: Hier genügt die einfache Mehrheit. CDU und FDP haben nur 80 Sitze. So weit, so klar. Eigentlich.

Denn immer wieder waren Spekulationen über mögliche Abweichler aufgekommen - sowohl aufseiten der Grünen als auch bei der SPD. Auch der Chef der Linkspartei, Klaus Ernst, sagte dem Abendblatt, er gehe zwar von einer geschlossenen Enthaltung seiner Partei aus, jedoch lehre die Erfahrung aus Hessen und Schleswig-Holstein, "dass Frau Kraft eher fürchten muss, nicht alle rot-grünen Stimmen zu bekommen". Heide Simonis scheiterte 2005 in Kiel nach mehren Wahlgängen, Andrea Ypsilanti scheiterte in Wiesbaden - ebenfalls wegen Abtrünnigen aus ihrer eigenen Fraktion. Hannelore Kraft kann sich indes auf eine stabilere Ausgangslage stützen, siegessicher gibt sie sich trotzdem nicht. Auch die sieben der zehn Minister, die die SPD stellen soll, will Kraft erst nach der Wahl nennen, um Enttäuschungen und damit Abweichler zu vermeiden. Ein bisschen gilt also auch das Prinzip Hoffnung - und das nicht nur heute, sondern auch in den kommenden Wochen und Monaten der neuen Minderheitsregierung. Wann immer es im Parlament zu einer Abstimmung kommt, ist Kraft auf mindestens einen Abgeordneten aus CDU, FDP oder Linkspartei zur Unterstützung angewiesen. Linken-Chef Ernst warnt deshalb vor "Abstimmungshopping" durch Rot-Grün: "Das Regieren mit wechselnden Mehrheiten bringt keine stabilen Verhältnisse. Man kann nicht heute mit der Linken einen Mindestlohn für öffentliche Aufträge einführen und morgen mit der FDP die Landesbank privatisieren. Das ist unglaubwürdig und schadet der Demokratie."

Die Gretchenfrage lautet deshalb auch immer wieder: "Fünf Jahre oder fünf Monate?", wenn darüber spekuliert wird, wie lange das Experiment Minderheitsregierung unter Duldung einer chaotischen Linken-Fraktion im bevölkerungsreichsten Bundesland halten wird.

Unmittelbar nach ihrer Wahl soll Kraft als Regierungschefin vereidigt werden, so steht es in der Tagsordnung des Parlaments. Danach sind ein Übergabegespräch mit ihrem Vorgänger Jürgen Rüttgers (CDU) angesetzt und der Umzug in dessen altes Büro in der Düsseldorfer Staatskanzlei, 10. Stock, Blick auf den Hafen. Zumindest dieser Tag ist durchgeplant.