Gewerkschaften über Gesundheitsreform empört. Kassen-Chef kritisiert Verfahren für Sozialausgleich

Hamburg. Im Bundesversicherungsamt rätseln die Experten: Wie soll das gehen? Bei den gut 160 gesetzlichen Krankenkassen herrscht Verwirrung. Schon die Zusatzbeiträge haben einen bürokratischen Aufwand verursacht. Doch die Reform der schwarz-gelben Regierungskoalition stellt die Kassenwarte vor noch schwierigere Aufgaben.

Das Hin- und Herrechnen mit dem Sozialausgleich ist zu kompliziert. Zwar dürfen die Kassen künftig Zusatzbeiträge quasi in beliebiger Höhe von ihren Mitgliedern verlangen. "Offen ist noch, wie der steuerfinanzierte Sozialausgleich praktisch ablaufen soll. Das muss in der Sommerpause geklärt werden", sagt der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, dem Abendblatt.

Im Klartext heißt das: Die Zeit läuft uns weg, um das Verfahren auf den Weg zu bringen. Erst ab einer Zusatzbelastung von zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens soll ein steuerfinanzierter Sozialausgleich greifen. Erstattet wird dann allerdings nur ein Betrag in Höhe der durchschnittlichen Zusatzbeiträge aller Kassen über zwei Prozent. Was das für Selbstständige und Rentner bedeutet und wer wem mitteilt, was erstattet werden muss - bisher alles unklar.

Im Haus von Philipp Rösler sieht man die Beitragserhöhung von 14,9 auf 15,5 Prozent vom Einkommen sowie die höheren Zusatzbeiträge als Erfolg gegen das erwartete Zehn-Milliarden-Finanzloch. Im Prinzip begrüßt auch Kassenchef Klusen die Regelung: "Den Beitragssatz wieder auf das Niveau anzuheben, das bis Mitte vergangenen Jahres galt, ist zwar weder populär noch besonders fantasievoll, aber gegenwärtig unausweichlich." Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht vor allem Rentner benachteiligt. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach sagte dem Abendblatt: "Allein durch die Beitragssatzerhöhung kommt es zu einer spürbaren Kürzung der Nettorenten, die sich durch die geplante Kopfpauschale noch deutlich verschärfen wird.

Die Kopfpauschale führt bei Durchschnittsrenten von 870 Euro für Männer und 480 Euro für Frauen automatisch zu einer weiteren Rentenkürzung von mindestens zwei Prozent, "weil kein Sozialausgleich stattfindet". Wer zusätzlich vorsorge, sei doppelt gekniffen: "Betriebsrentner müssen seit einigen Jahren allein den vollen Krankenversicherungsbeitrag bezahlen und sind von den steigenden Beiträgen besonders betroffen. Da viele Rentner mehrere Einkommensquellen haben, ist völlig unklar, wie Rösler feststellen will, wer den angeblichen Sozialausgleich eigentlich bekommen soll."

Im Bundestag sagte Gesundheits-Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) gestern: "Es gibt keine verantwortbare Alternative zu dem, was wir jetzt beschlossen haben."