Die Geschichte der Bundespräsidentenwahl von Adenauer bis Thurn und Taxis

Berlin. Die Gscheidle-Geschichte macht vor jeder Bundespräsidentenwahl die Runde. Die Gescheidle-Geschichte ist die Schreckensgeschichte schlechthin.

Als die SPD am Morgen des 5. März 1969 zum letzten Zählappell zusammenkam, fehlte Kurt Gscheidle. Zwar hatte man den gemütlichen Schwaben am Vortag in Berlin ankommen sehen, aber seitdem war er verschwunden. Weil Gustav Heinemann jede Stimme brauchte, um der erste sozialdemokratische Präsident der Bundesrepublik zu werden - sechs Fraktionsmitglieder hatten sich bereits "transportunfähig erkrankt" gemeldet -, schickte Herbert Wehner einen Suchtrupp los. Und tatsächlich, gerade noch rechtzeitig gelang es den Genossen, Gscheidle herbeizuschaffen. Im Rollstuhl und mit dickem Kopfverband wurde er an die Wahlurne geschoben! Schnell machte die Runde, was ihm zugestoßen war: Man hatte Gscheidle ein paar Stunden zuvor ausgeraubt vor der "Babalu"-Bar aufgefunden, einem Striptease-Etablissement am Stuttgarter Platz. Was Wehner in der Bundesversammlung zu der Bemerkung inspirierte, "wichtige Körperteile" seien "nicht betroffen" ...

Heinemann wurde damals übrigens - wie Roman Herzog (CDU) 25 Jahre später - erst im dritten Wahlgang gewählt. Und seitdem versuchen die Fraktionen auf Nummer sicher zu gehen. So war in dem Brief der Unionsfraktion vom 17. Juni 2010 von "absoluter Präsenzpflicht" die Rede.

Von Anfang an hat die Bundespräsidentenwahl immer wieder zu interessanten Arabesken geführt. So schlug die KPD 1954 den Soziologen Alfred Weber als Gegenkandidaten für Theodor Heuss (FDP) vor - ohne ihn nach seinem Einverständnis zu fragen. Gleichzeitig ignorierte ein Abgeordneter die Namen auf seiner Wahlkarte und schrieb stattdessen "Karl Dönitz" hin; allerdings schmorte der Oberbefehlshaber der untergegangenen Reichsmarine noch in der Spandauer Zitadelle. Fünf Jahre später überraschte Bundeskanzler Konrad Adenauer seine "lieben Landsleute" im April in einer Rundfunkansprache mit der Ankündigung, dass er vorhabe, sich "als Nachfolger unseres verehrten Bundespräsidenten Heuss" zur Wahl zu stellen. Adenauer wollte Ludwig Erhard als Kanzler verhindern, schließlich, meinte er, schreibe das Grundgesetz dem Bundespräsidenten nicht vor, wen er als Kanzler vorschlagen müsse! Wenig später entschloss sich der 83-Jährige allerdings, sicherheitshalber selbst Kanzler zu bleiben, und die Lübke-Zeit begann.

Auf Heinemann folgte 1974 Walter Scheel (FDP), der den erstmals kandidierenden Richard von Weizsäcker (CDU) souverän im ersten Wahlgang aus dem Feld schlug. Von Weizsäcker musste dann auch noch die Amtszeit von Scheel-Nachfolger Karl Carstensen (CDU) abwarten, bevor er sich am 23. Mai 1984 endlich durchsetzen konnte.

Während es fünf Jahre später zu einem alle im Bundestag vertretene Parteien übergreifenden Votum für die Wiederwahl von Weizsäckers kam, hatte Roman Herzog 1994 mehr Konkurrenz als alle Kandidaten zuvor. Herzog, als Ersatzmann für den über seine Holocaust-Bemerkungen gestürzten Steffen Heitmann ins Rennen geschickt, trat gegen Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Johannes Rau (SPD) und Jens Reiche (Grüne) an. Als er 1999 auf eine zweite Amtszeit verzichtete, war der Weg für Rau frei.

Damals hat sich ausgerechnet die Tochter Gustav Heinemanns als Gegenkandidatin aufstellen lassen. Und das noch von der PDS. 2004, als sich der von der Union und FDP nominierte Horst Köhler mit einem hauchdünnen Vorsprung gegen die SPD-Kandidatin Gesine Schwan durchsetzen konnte, fuhr der CDU/CSU-Fraktion der Schreck quasi noch posthum in die Glieder. Als die von der CSU benannte Wahlfrau Gloria von Thurn und Taxis treuherzig verkündete, sie habe ihr Kreuz bei Schwan gemacht. Die habe sie halt mehr fasziniert als der Köhler.