Die engere Einbindung des Bundestages in europäische Angelegenheiten sei ein wichtiges Anliegen, betonte der Bundesaußenminister.

Karlsruhe/Hamburg. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Rechte des Parlaments verletzt. Die Regierung hat bei den Verhandlungen über den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM den Bundestag nicht ausreichend informiert, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Dienstag verkündeten Urteil (Az. 2 BvE 4/11). Auch bei den Verhandlungen über den „Euro-Plus-Pakt“ zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik habe Schwarz-Gelb Informationsrechte des Parlaments verletzt, entschieden die Richter. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat das Urteil für stärkere Informationsrechte in Europa-Angelegenheiten begrüßt. Karlsruhe gab mit dem Urteil den Klägern, der Grünen-Bundestagsfraktion, recht. Die Klage war vom Hamburger Abgeordneten Manuel Sarrazin initiiert worden.

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Die Entscheidung hat keine direkten Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Beschlüsse zur Euro-Rettung. Das Urteil dürfte aber die Bundesregierung künftig dazu verpflichten, das Parlament besser zu informieren. Die Entscheidung sei „ein weiterer wichtiger Baustein in einer Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung parlamentarischer Verantwortung im Rahmen der europäischen Integration“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. „Die Unterrichtung muss dem Bundestag eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen und so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät.“

Nach dem Grundgesetz muss die Regierung in Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundestag und den Bundesrat „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ unterrichten. Die Verfassungsrichter haben immer wieder die zentrale Rolle des Bundestags bei der europäischen Integration betont: Zuletzt bremsten sie Pläne, wichtige Entscheidungen über Maßnahmen zur Euro-Rettung auf ein Geheimgremium aus nur neun Abgeordneten zu übertragen.

Westerwelle begrüßte das Urteil. „Die engere Einbindung des Bundestages in europäische Angelegenheiten ist ein wichtiges Anliegen, das auch im Interesse der Europapolitik und von mir ganz persönlich liegt“, sagte der FDP-Politiker am Dienstag in Berlin. Es sei wichtig, dass das Verfassungsgericht für eine grundsätzliche Klärung gesorgt habe. „Die Bundesregierung wird selbstverständlich das Urteil nach bestem Wissen und Gewissen umsetzen“, betonte Westerwelle.

Das Finanzministerium hatte erklärt, das Urteil erschwere internationale Verhandlungen. „Die Regierung muss handlungsfähig bleiben im internationalen Bereich. Die Geheimhaltung wird schwerer“, sagte Finanzstaatssekretär Werner Gatzer am Dienstag nach der Urteilsverkündung. Man werde gemeinsam mit dem Parlament überlegen müssen, wie beides gewährleistet werden könne. „Es erschwert einen Diskussionsprozess, wenn man auch Wasserstände darstellen muss“, kritisierte der Staatssekretär. Die Bundesregierung werde frühzeitig über internationale Initiativen informieren müssen. Gatzer äußerte sich zudem über die Entscheidung überrascht: „Mit der Klarheit hatte ich das nicht erwartet.“

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelobt. „Wir sind vollumfänglich bestätigt worden“, sagte Beck am Dienstag in Karlsruhe. Mit der Entscheidung sei klargestellt, dass der Bundestag auch auf „Anbauten an die europäischen Verträge Einfluss nehmen“ könne. „Anbauten dürfen nicht zu demokratiepolitischen Schwarzbauten werden“, fasste Beck das Urteil zusammen. Die Grünen wollen das Informationsrecht des Parlaments nun auch gesetzlich verankert haben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehe über das bisherige Gesetz zur Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Bundestag in europäischen Angelegenheiten hinaus. Diese Lücke müsse geschlossen werden.

Initiator der Verfassungsklage war der Hamburger Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin. Im Auftrag seiner Fraktion, deren europapolitischer Sprecher er ist, hat er die Klage im Juli 2011 in Karlsruhe eingereicht, weil sich die Parlamentarier nur unzureichend durch die Bundesregierung informiert fühlten. Bei wichtigen Vorhaben zur Euro-Rettung hatte sich Merkel zwar wie im französischen Deauville mit den anderen Staats- und Regierungschefs abgesprochen, aber nicht dem Bundestag die entsprechenden Dokumente zugeleitet. Die Entwürfe über den Vertrag für den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM etwa bekamen die Bundestagsabgeordneten im Frühjahr 2011 erst über Umwege über ihre österreichischen Amtskollegen - oder mussten Details aus der Tagespresse erfahren. "Es ist ein schweres Demokratiedefizit, wenn das Parlament bei so wichtigen Entscheidungen keinen Einblick hat", hatte Sarrazin dem Abendblatt gesagt. "Wenn dem Bundestag wichtige Dokumente vorenthalten werden, weiß doch irgendwann keiner mehr genau, was eigentlich von den Staatschefs beschlossen wurde."

"Es geht uns nicht darum, dass künftig jeder Verhandlungsschritt zur Euro-Rettung im Bundestag abgesegnet wird", erklärte Sarrazin, "sondern darum, dass wir Parlamentarier informiert werden und ganz offiziell wissen, worum es geht. Eine mündliche Unterrichtung nur dann, wenn es der Bundesregierung gerade passt, reicht uns nicht aus." Deshalb sei die Klage definitiv proeuropäisch, betonte der Grünen-Politiker. Sie richte sich auch "gegen die Methode Merkel, wichtige Entscheidungen in Hinterzimmern oder auf Strandspaziergängen mit anderen Regierungschefs zu vereinbaren". Informelle Absprachen ohne Protokoll und offiziellen Beschluss würden der Krise nicht gerecht. "Das darf es künftig nicht mehr geben."