SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier über die Wahl in Schleswig-Holstein, das geplante Betreuungsgeld und die K-Frage.

Berlin. Frank-Walter Steinmeier war der Kanzlerkandidat der SPD vor drei Jahren, und er könnte im kommenden Jahr erneut versuchen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu schlagen. Langsam nähern sich die Sozialdemokraten der Entscheidung, auf welchem Wege die Kanzlerkandidatur entschieden werden soll. Neben Steinmeier gelten Parteichef Sigmar Gabriel und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück als die großen Favoriten. Der Fraktionschef im Bundestag kann sich inzwischen auch eine Urwahl der SPD-Mitglieder bei der K-Frage gut vorstellen, aber er warnt aus eigener Erfahrung: Zu früh sollte der Kandidat nicht feststehen. Und noch ist die SPD mit den Wahlkämpfen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Das Abendblatt traf Steinmeier zum Interview in seinem Berliner Bundestagsbüro.

Hamburger Abendblatt: Herr Steinmeier, vor wenigen Tagen waren Sie mit Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück in Elmshorn und haben Wahlkampf gemacht. Ist die berühmte Troika wieder da?

Frank-Walter Steinmeier: Sie war immer da. Und wer sie jetzt gesehen hat, weiß, dass sie kraftvoll und in bester Verfassung ist.

Wie würden Sie Ihre Rolle innerhalb dieses Trios charakterisieren?

Steinmeier: Keiner der drei ist ein Greenhorn, und jeder von uns bringt unterschiedliche Erfahrungen ein. Gabriel war Ministerpräsident und Umweltminister, Steinbrück Ministerpräsident und Finanzminister. Ein paar Jahre Erfahrung als Chef des Kanzleramts und als Vizekanzler kann ich einbringen. Und in der aktuellen Rolle als Fraktionsvorsitzender leidet man ja auch nicht gerade unter medialer Vernachlässigung.

Stört es Sie eigentlich, dass Peer Steinbrück Ihnen manchmal die Schau stiehlt?

Steinmeier: Tut er das?

Immerhin ist er mit seinen Büchern viel unterwegs und hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt als prominenten Fürsprecher.

Steinmeier: Es hat nicht nur jeder eigene Schwerpunkte, es hat auch jeder seinen eigenen Stil und seine eigene Persönlichkeit. Das schadet uns nicht. Im Gegenteil: Wenn in ganz Deutschland nur darüber diskutiert wird, welcher Sozialdemokrat der nächste Bundeskanzler wird, ist mir das ganz recht.

Gerhard Schröder hat vor einiger Zeit vorgeschlagen, die K-Frage schnell zu klären. Ein guter Rat?

Steinmeier: Ich war schon mal mehr als ein Jahr lang Kanzlerkandidat und weiß, dass das eine lange Zeit ist. Es gibt keine Not, sie noch länger zu machen. Wir bleiben bei unserem Zeitplan und klären die K-Frage nach der Landtagswahl in Niedersachsen, also Ende Januar oder Anfang Februar 2013.

Ist es anstrengend, Kanzlerkandidat zu sein?

Steinmeier: Man braucht einen starken Willen, Kondition und vor allem die Überzeugung, dass man für die richtige Sache streitet. Dann macht es auch Spaß. Im Moment ist die Verantwortung noch auf mehrere Schultern verteilt. Wenn die Entscheidung über die K-Frage getroffen ist, trägt sie nur noch einer alleine. Das kommt schon früh genug.

Wenn es um die K-Frage geht, geht es vor allem um Sie, Herrn Gabriel und Herrn Steinbrück. Die SPD wirkt nach außen wie ein Herrenverein.

Steinmeier: Den Eindruck kann ich nicht teilen. Im Moment bin ich etwa mit Hannelore Kraft oft in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Sie ist eine Frau, die mitten im Leben steht, und auf die die Menschen voller Vertrauen zugehen. Und sie hat als stellvertretende Parteivorsitzende und Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes erheblichen Einfluss in der SPD.

Schön und gut. Wann ist die SPD reif für eine Kanzlerkandidatin?

Steinmeier: Ich sehe da keine Unreife. Die Parteispitze ist mehrheitlich weiblich. Und wenn ich nur hier in Hamburg an Aydan Özoguz oder etwa in der Nachbarschaft an Manuela Schwesig denke, gibt es einige jüngere Sozialdemokratinnen, die in Zukunft noch weiter nach vorne kommen werden.

+++ Gabriel: Parteimitglieder sollen Kanzlerkandidaten bestimmen +++

Parteichef Sigmar Gabriel hat sich aus der Deckung gewagt und eine Urwahl des Kanzlerkandidaten vorgeschlagen. Was halten Sie davon?

Steinmeier: Wenn es im Januar 2013 mehrere Kandidaten gibt, dann kann man darüber auch in einer Urwahl abstimmen.

Wie wichtig ist die Wahl in Schleswig-Holstein für die SPD?

Steinmeier: Schleswig-Holstein ist sehr wichtig. Wir haben hier die große Chance, eine weitere schwarz-gelbe Regierung aus den Amtssesseln zu werfen. Nordrhein-Westfalen ist bedeutsam, weil es mit 18 Millionen Einwohnern das größte deutsche Bundesland ist. Wie wir uns erinnern, war es immer so, dass jedwedes Ergebnis einer Landtagswahl dort auch Auswirkungen auf den Bund hatte.

Wird es im Norden für Herrn Albig reichen?

Steinmeier: Torsten Albig hat nicht erst in seiner Zeit als Oberbürgermeister in Kiel gezeigt, dass er mit Verantwortung umgehen kann. So jemanden wollen die Menschen in Schleswig-Holstein. Wenn ich das richtig spüre auf den Straßen und Plätzen im Norden, gibt es da auch eine Sehnsucht danach, dass wieder Politik gemacht wird. Peter Harry Carstensen hat vor einem Jahr seinen Rückzug angekündigt, seitdem passiert dort nichts mehr. Und der CDU-Spitzenkandidat macht nicht den Eindruck, dass er an diesem Stillstand etwas ändern will.

Es könnte allerdings sein, dass die Piratenpartei Ihnen ihr rot-grünes Wunschbündnis verhagelt.

Steinmeier: Die letzten Umfragen ergeben noch keine restlose Aufklärung. Vielleicht ist das gut so. Wir werden bis zur letzten Minute für eine rot-grüne Mehrheit im Kieler Landtag kämpfen. Aber die SPD liegt vorn, Torsten Albig ist der beliebteste Politiker im Land und die Mehrheit wünscht sich rot-grün. Es sieht also ganz gut aus.

Und wenn nicht? Soll Albig notfalls auch mit den Piraten Koalitionsgespräche führen?

Steinmeier: Ich gebe den Kandidaten in den Ländern keine Ratschläge. Aber ich nehme sehr ernst, was sich zurzeit verändert. Wenn eine ganz junge Partei zwischen acht und zehn Prozent in den Umfragen einsammelt, können wir das nicht ignorieren. Schon deshalb nicht, weil viele Proteststimmen darunter sind. Dabei finde ich es besser, wenn diese Menschen wählen gehen und sich nicht schlicht in Wahlenthaltung üben. Aber wer einen Politikwechsel in Schleswig-Holstein will, der muss eine Partei wählen, die auch regieren will und kann. Am besten SPD.

Herrn Albig wird ein ähnlich nüchtern-sachlicher Stil wie Olaf Scholz nachgesagt. Kann sich die Bundespartei etwas davon abgucken?

Steinmeier: Die Moden wechseln schnell. Erst waren die schrillen Töne von Guido Westerwelle gefragt, dann Glamour und Show von Karl-Theodor zu Guttenberg. Jetzt in der europäischen Krise suchen die Menschen Politiker mit Substanz und Ernsthaftigkeit. Scholz und Albig entsprechen dem.

Könnten Sie sich vorstellen, dass Hamburg und Schleswig-Holstein künftig noch eine größere Rolle in Berlin spielen werden?

Steinmeier: Hamburg spielt schon jetzt eine große Rolle. Olaf Scholz ist nicht nur Erster Bürgermeister, sondern auch stellvertretender Parteivorsitzender - und in dieser Rolle höchst aktiv. Torsten Albig wünschen wir uns als starken Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein und gewichtige Stimme über das Land hinaus.

Es gibt ein großes Thema, dass die Menschen in Hamburg und Schleswig-Holstein immer wieder beschäftigt - und zwar das Zusammenrücken beider Länder. Würde ein Nordstaat aus Bundessicht Sinn machen?

Steinmeier: Mein Wahlkreis liegt in Brandenburg, und wir haben dort erlebt, dass es schief geht, wenn politische Zusammenschlüsse von Ländern bloße Kopfgeburten sind. Die Menschen müssen es wollen. Im Fall von Schleswig-Holstein und Hamburg sind in den letzten Jahren zudem Schärfen in das gegenseitige Verhältnis reingeraten, die nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich waren. Ich finde es deshalb gut, dass Olaf Scholz und Torsten Albig schon jetzt im Wahlkampf begonnen haben, das Verhältnis beider Länder zueinander auf eine neue und bessere Basis zu stellen.

Herr Steinmeier, Ihr Parteichef Sigmar Gabriel will im Sommer für drei Monate in Elternzeit gehen. Ein Vorbild für deutsche Väter?

Steinmeier: Meine Tochter ist schon 16, ich darf nicht mehr. (lacht) Aber im Ernst: Ich finde es gut, dass er das macht, und weiß, dass er sich darauf freut. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es richtig ist, sich am Anfang dafür zu entscheiden, so lange das Kind klein ist. Später kommt eine solche Phase selten wieder.

Ab welchem Alter hat ihre Tochter die Kita besucht?

Steinmeier: Mit zwei Jahren ist sie in die Kinderkrippe gegangen.

Die SPD macht massiv Front gegen das Betreuungsgeld. Die einzige Chance, es zu stoppen, wäre der Bundesrat. Sehen Sie eine Chance, dass das Gesetz in der Länderkammer landen wird?

Steinmeier: Noch tun wir alles dafür, damit dieser Unsinn erst gar nicht im Bundestag verabschiedet wird. Das Betreuungsgeld ist nicht nur falsch, es ist bildungspolitisch eine Katastrophe. Eltern sollen Geld dafür bekommen, dass sie ihr Kind zu Hause lassen. Und das, obwohl jedes Jahr Zehntausende Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen und das bei vielen auch aufgrund mangelnder Vorbereitung für die Schule und wegen mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse geschieht. Ich hoffe immer noch darauf, dass wir eine ausreichende Zahl von Abgeordneten aus der Regierungsfraktion überzeugen, diesem Betreuungsgeld keine Mehrheit zu geben.

Trotz des Kanzlerinnenmachtwortes wird auch innerhalb der Koalition weiter diskutiert. Hat sich Angela Merkel verzettelt?

Steinmeier: So haben wir es häufig während der drei Regierungsjahre von Schwarz-Gelb gesehen. Immer wieder hat die Kanzlerin die Koalitionsräson vor die politische Vernunft gestellt. Die Vernunft hätte ihr sagen müssen, das Betreuungsgeld besser vom Tisch zu nehmen.

Am Mittwoch hat Angela Merkel die Chefs der vier großen Versorger zum Energiegipfel ins Kanzleramt geladen. Ein guter Schritt, um die Energiewende voranzubringen?

Steinmeier: Es hapert an allen Ecken und Enden, diese Energiewende ist ein Desaster. Das Ausstiegskonzept wurde mit heißer Nadel strickt, der Netzausbau kommt nicht in Gang und die Integration der erneuerbaren Energien misslingt. Viele Male stand das deutsche Energienetz in den vergangenen Monaten am Rande der Stabilität. Aber diese Regierung leistet es sich immer noch, dass die verantwortlichen Minister gegeneinander arbeiten. So viel Dilettantismus wie bei Röttgen und Rösler habe ich selten gesehen. Die gesamte Wirtschaft ist deshalb im Aufstand gegen die Bundesregierung. Und Angela Merkel macht es nicht besser. Wie schon damals beim Ausstieg aus dem Atomausstieg wollte sie sich nur mit den vier großen Energieversorgern treffen. Verbraucher, Wirtschaft und Gewerkschaften sollten draußen bleiben. So kann das nichts werden. Der Termin jetzt dient zu nichts anderem, als die Nervosität zu überdecken. Das wird aber kein einziges Problem lösen.