Ministerpräsident Peter Harry Carstensen mahnt bei seiner letzten Rede im Kieler Parlament gegenseitigen Respekt an und verdrückt Tränen.

Kiel. Für Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) war es eine schwere Stunde. Gestern, kurz nach dem Auftakt der Landtagssitzung, geht der friesische Hüne langsam zum Rednerpult des Plenarsaals, um nach fast 30 Jahren als Abgeordneter im Bundestag und im Kieler Landtag seine letzte Parlamentsrede zu halten, um politisch und persönlich Bilanz zu ziehen, um sich mit stockender Stimme für Fehler zu entschuldigen und unter Tränen Abschied zu nehmen.

Sein Vermächtnis hat der Diplom-Landwirt über Tage selbst formuliert. Als der 65-Jährige es vorträgt, wird es im Saal erst ruhiger, dann still. "Die Zeit für die Übergabe, für den Wechsel der Verantwortung in jüngere Hände, ist gekommen", sagt er leise. Seine Stimme zittert, als er an seine wichtigste Entscheidung erinnert, an die Kehrtwende in der Finanzpolitik, den Protest gegen den Sparkurs, die Buhrufe und Pfiffe.

Je länger Carstensen spricht, desto persönlicher wird er. Er blickt in die Runde, auch zu seinem Erzfeind, SPD-Chef Ralf Stegner - und mahnt eindringlich mehr Respekt der Politiker untereinander an. Der Regierungschef erinnert an seine Vorgängerin Heide Simonis (SPD), deren Wiederwahl 2005 in vier Wahlgängen gescheitert war. "Ja, ich persönlich habe von der respektlosen anonymen Unanständigkeit gegenüber Heide Simonis profitiert", bekennt Carstensen und ergänzt: "Ich habe ihr gegenüber allerhöchsten Respekt."

Seine Kernbotschaft an die Abgeordneten ist schlicht. Er bittet sie, auf die Bürger zuzugehen und den Dialog auf Augenhöhe zu führen. "Die Menschen wollen Alltagsgespräche und keine Sonntagsreden." Als Carstensen daran erinnert, dass er selbst bei jeder Gelegenheit mit Bürgern plauschte, schütteln nicht nur bei der SPD einige den Kopf. Beim "König der Volksfeste", so die Kritiker, kam die Politik manchmal etwas kurz.

Carstensen ist mit sich im Reinen, erzählt mit brüchiger Stimme, dass er sich beruflich und privat "in meinem Glauben an Gott" stets aufgehoben gefühlt habe und er sich zufrieden zurückziehe. "Gewiss ist es mir nicht immer gelungen, Gerechtigkeit zu üben gegenüber jedermann", räumt er ein. "Auch dafür bitte ich um Verzeihung." Als Carstensen seinen Mitarbeitern dankt, schießen ihm dicke Tränen in die Augen. "Gott schütze Schleswig-Holstein", sagt er schnell und kehrt auf die Regierungsbank zurück, wo ihn Kabinettskollegen in den Arm nehmen.

Die Abgeordneten von CDU, FDP und SSW stehen auf und applaudieren. Die Grünen klatschen im Sitzen, ebenso einige SPD-Abgeordnete. Stegner rührt keine Hand. Wie tief die Verletzungen aus dem Bruch der Großen Koalition 2009 sind, macht der SPD-Chef als nächster Redner deutlich. Er beklagt "den ungewöhnlichen Umgang mit der Geschäftsordnung des Landtags", der dem Regierungschef eine so lange Rede ermöglichte. Carstensens einfühlsame Worte über Simonis kommentiert Stegner knapp: "Wenn das ehrlich gemeint gewesen sein sollte, bedanke ich mich."

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki springt Carstensen zur Seite ("Du hast deinen Job verdammt gut gemacht") und rechnet mit Stegner ab. "Sie haben nicht nur keinen Respekt, Sie haben auch keine Würde." Carstensen, der Minuten später schon beim Kaffee im Landtags-Bistro sitzt, stehen weitere bittere Stationen auf seiner Abschiedstournee bevor. Sie endet vermutlich erst Mitte Juni. Dann will der Ministerpräsident seinem Nachfolger im Landtag gratulieren.