Billige Arzneien, falsche Abrechnungen und zweifelhafte Beraterverträge - auch Hamburger Firma in Gesundheitsskandal verwickelt?

Hamburg. Camping an der Küste, Golf spielen, viel Grün im Hinterland: Das idyllische Holmsland in Westdänemark hat eine Menge zu bieten. Von dort hatte auch ein großer Pharmahändler seine Geschäfte betrieben. Fünf Jahre ist es her, dass ein Informant die Holmsland-Affäre ins Rollen brachte, einen der größten Skandale mit gefälschten oder überteuert verkauften Medikamenten, oft für krebskranke Menschen. In den anhaltenden Nachwehen dieser Holmsland-Affäre wurde in der vergangenen Woche auch wieder in Hamburg durchsucht. Fünf Beschlüsse wurden vollstreckt, eine Wohnung war darunter.

Im Visier der Ermittlungen war die Hamburger Firma Zyo Pharma, wie die Staatsanwaltschaft dem Abendblatt bestätigte. Das Unternehmen soll laut Fahndern eingebunden sein in Betrügereien beim Handel mit Krebsmedikamenten (Zytostatika) und ihren Zutaten. Der Schaden für die Krankenkassen soll in die Millionen gehen. Zyo-Geschäftsführer Rolf-Dieter Lampey teilte dem Abendblatt mit, die Beraterverträge mit Ärzten und Apothekern seien rechtmäßig. Bei der Durchsuchung habe man bereitwillig Informationen herausgegeben.

Zyo Pharma ist nicht die einzige unter Verdacht geratene Firma. Beim Vorwurf des Abrechnungsbetrugs vor allem gegen Apotheken geht es darum, dass für das Zusammenmixen von Krebstherapien entweder nicht die Originalzutaten oder in Deutschland gar nicht zugelassene Grundstoffe verwendet werden. Bei den Kassen, die für eine Chemotherapie oft mehrere Zehntausend Euro bezahlen, wurden aber die hierzulande geltenden Höchstpreise abgerechnet.

Die unter Verdacht stehenden Apotheken, darunter einige in Norddeutschland und eine in Hamburg, sollen mit Zyo Pharma und anderen Firmen Beraterverträge gehabt haben. Der Vorwurf: Die Pharmahändler sollen beispielsweise ein Präparat in Ägypten für 300 Euro eingekauft und für 1000 Euro als Originalpräparat an die Apotheken weiterverkauft haben. Die stellten es der Krankenkasse in Rechnung und kassierten von den Pharmahändlern ein Honorar (Kick-back-Zahlung). "Man weiß nicht, ob die Stoffe sauber waren", sagte ein Fahnder dem Abendblatt. In den USA waren reine Kochsalzlösungen aufgetaucht, die als Präparate für Krebsmittel deklariert waren.

In einem ähnlichen Fall vor zwei Jahren hatte die Staatsanwaltschaft Mannheim Medikamente untersuchen lassen, aber keine gesundheitlichen Gefährdungen für die Patienten festgestellt. Der in Mannheim angeklagte Apotheker hatte keine Originalpräparate eingesetzt, sie aber abgerechnet und so einen Schaden in sechsstelliger Höhe verursacht. "Die meisten Verfahren werden allerdings eingestellt", beklagt sich ein Ermittler der Krankenkassen.

+++ Info: Kassen leiden unter säumigen Beitragszahlern +++

Das liegt daran, dass die Beweise für den Einsatz nicht zugelassener oder billiger Stoffe schwer zu führen sind. Viele Patienten sind bereits tot. Bei den aktuellen Fällen geht es um Abrechnungsbetrug, Körperverletzung und Korruption. Es betrifft nur eine kleine Schar von schwarzen Schafen im Gesundheitswesen. Doch der Gesamtschaden ist immens. "Zwischen fünf und 18 Milliarden Euro pro Jahr gehen der Versichertengemeinschaft dadurch verloren, sagte der Justiz- und Gesundheitsexperte der SPD im Bundestag, Edgar Franke, dem Abendblatt.

Ihren vor zwei Jahren bereits angestoßenen Antrag hat die SPD jetzt erneuert. Kernpunkte: Die Länder sollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften einrichten, niedergelassene Ärzte müssen belangt werden können, wenn sie sich bestechen lassen. Krankenhäuser sollen Strafen zahlen, wenn sie systematisch falsch abrechnen. "Wir wollen die Ärzte oder Kliniken nicht unter Generalverdacht stellen", sagte Franke. "Aber man muss nicht über 1,5 oder zwei Milliarden Euro Verlust für die Krankenkassen bei einem Wegfall der Praxisgebühr sprechen, wenn gleichzeitig deutlich mehr Milliarden durch Betrügereien fehlen." Da das Gesamtbudget für Ärzte und Krankenhäuser begrenzt sei, schadeten die Betrüger der Mehrheit der ehrlichen Mediziner. Franke setzt darauf, dass man einen Straftatbestand schafft, der Fälle im Sozialversicherungsrecht betrifft.

In den kommenden Wochen fällt der Bundesgerichtshof (BGH) das lange erwartete Urteil zur Bestechlichkeit von niedergelassenen Ärzten. Ausgelöst wurde es auch durch einen Hamburger Fall, in dem ein Arzt verurteilt wurde, der von einer Pharmafirma eine Software bekam - und ein fünfstelliges Honorar. Denn das Programm spuckte bei einem Rezept zunächst die Medikamente der Firma aus. Wie aktuell das Thema Betrug im Gesundheitswesen ist, zeigt eine gestern veröffentlichte Statistik der in Hamburg beheimateten Krankenkasse DAK Gesundheit. Die Hinweise auf gefälschte Rezepte, Scheinbehandlungen und manipulierte Rechnungen seien im vergangenen Jahr um 60 Prozent gestiegen, teilte die Kasse mit. 1800 Verdachtsfälle würden derzeit bearbeitet.

"Steigende Fallzahlen sind sicherlich ein Indiz für die steigende kriminelle Energie bei den Leistungserbringern", sagte der Leiter der zehnköpfigen Ermittlungsgruppe, Volker zur Heide. Betrügereien zulasten der Kasse seien vor allem bei der Krankengymnastik oder Massagen (47 Prozent), bei der Pflege (13) und der ärztlichen Behandlung (12) nachgewiesen worden.