Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein Machtwort im Streit um das Betreuungsgeld gesprochen. Die Gegner formieren sich dennoch bei Schwarz-Gelb. Türkische Elternvereine beschweren sich über Vorurteile in der Debatte. Der Kieler CDU-Spitzenpolitiker Jost de Jager ist gegen die Auszahlung des Betreuungsgeldes in bar.

Berlin/Kiel. Wo es genau noch hakt, bleibt vorerst das Geheimnis der Bundesfamilienministerin und ihrer engsten Mitarbeiter. Von den ursprünglichen Plänen Kristina Schröders (CDU), noch vor Ostern das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes zu verabschieden, ist die Bundesregierung jedenfalls noch weit entfernt. Man sei zwar innerhalb des Familienministeriums mit dem Entwurf fast fertig, dieser müsse aber nach Ostern in die Ressortabstimmung gegeben werden, hieß es gestern. Jetzt wollen die Koalitionsspitzen offiziell vor der Sommerpause das Betreuungsgeld beschließen.

Doch "wollen" ist nicht gleich "können". In der Union wächst der Unmut über die geplante Leistung in einem Maße, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern zu einem Machtwort zwang. Merkel ließ ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten, dass die Bundesregierung zu dem stehe, was die Koalitionspartner CDU, CSU und FDP im vorigen November erneut beschlossen hätten. Doch auch dieser Versuch der Kanzlerin, die Debatte zu steuern, misslang gehörig.

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Inzwischen scheint es, als hätten die 23 CDU-Abgeordneten, die Ende vergangener Woche in einem Brief an Unionsfraktionschef Volker Kauder ihren Widerstand gegen die bisherigen Pläne nach den Vorstellungen von Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) angekündigt hatten, erst die Schleusen für weitere Proteste in der Union geöffnet. Auch der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke will den CSU-Vorstellungen des Betreuungsgeldes nicht folgen. Das teilte er gestern Fraktionschef Kauder in einem dem Abendblatt vorliegenden Brief mit. "Die voraussichtlichen Kosten von jährlich 1,2 Milliarden Euro fehlen uns in Zeiten von Haushaltskonsolidierung und Schuldenbremse an anderer Stelle, insbesondere bei den Investitionen in eine leistungsfähige Infrastruktur", heißt es darin. Er trage das Schreiben der 23 Kolleginnen und Kollegen "vollumfänglich" mit, so Klimke.

Und auch der Landesvorsitzende der CDU in Schleswig-Holstein, Jost de Jager, ist dagegen, Eltern ein Betreuungsgeld in bar auszuzahlen. "Wir plädieren für eine bessere Altersversorgung für Erziehende und lehnen eine Bargeldauszahlung ab“, erklärte der Spitzenkandidat zur Landtagswahl am Dienstag in Kiel.

"Mit einer höheren Anrechnung der Erziehungszeiten bei der Altersvorsorge würden wir Eltern mehr helfen. Denn das Problem ist, dass Eltern, vor allem Mütter, während der Erziehungszeiten eine ungenügende Altersvorsorge betreiben können.“ De Jager schloss sich damit der Kritik von CDU-Politikern an dem geplanten Betreuungsgeld nach CSU-Modell an. Mittlerweile haben 24 Bundestagsabgeordnete der CDU angekündigt, das Betreuungsgeld im Parlament abzulehnen.

Die Landesvorsitzende der Frauen Union, Katja Rathje-Hoffmann, teilt die Auffassung de Jagers. Das Betreuungsgeld sollte zur Aufbesserung von Rentenansprüchen für Eltern verwendet werden, um die Gefahr der Altersarmut zu verringern, sagte sie. De Jager und Rathje-Hoffmann erklärten, sie seien weder gegen eine Betreuung in der Krippe oder bei der Tagesmutter noch gegen die Betreuung der Jüngsten durch die Eltern. "Wir sind für die Wahlfreiheit und unterstützen beide Arten der Kinderbetreuung.“

Der Druck, einen Kompromiss zu finden, steigt weiter. Der Fraktionschef ließ gestern bereits erkennen, dass man nachjustieren könne. An welcher Stelle dies geschehen soll, ob bei der Art der Zahlung, ließ er noch offen. Nach jetziger Planung soll das Betreuungsgeld ab 2013 bar an Eltern gezahlt werden, die ihre Kinder nicht in eine Kita geben, sondern sie zu Hause betreuen. 2013 sind im Bundeshaushalt 400 Millionen Euro dafür eingeplant. Ab 2014 sollen es besagte 1,2 Milliarden Euro sein. Die FDP hatte den Beschluss im November zähneknirschend mitgetragen, weil zugleich eine sechs Milliarden Euro teure Abmilderung der kalten Progression zugebilligt worden war. Jetzt sind die Liberalen beim ungeliebten Betreuungsgeld entsprechend gesprächsbereit. Serkan Tören, Integrationspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, warnte im Abendblatt eindringlich vor der Maßnahme: "Kindern aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien, zu denen leider noch viele Migranten gehören, wird durch das Betreuungsgeld der notwendige frühe Einstieg in die Bildung verbaut. Das kann nicht unser Ziel sein", sagte Tören dem Abendblatt.

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Auch Berrin Alpbek, Bundesvorsitzende der Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland, beschwerte sich im Abendblatt-Gespräch über manche Argumente der Betreuungsgeld-Kritiker - etwa jenes, dass Migranten das Geld als Fernhalteprämie sehen würden: "Die Diskussion ums Betreuungsgeld ist von vielen Vorurteilen geprägt", sagt Alpbek. Die Gefahr, dass das Betreuungsgeld nur bei den Eltern, aber nicht bei den Kindern ankomme, gebe es in deutschen Familien genauso wie in Migrantenfamilien, stellte sie klar. "Momentan werden Migrantenfamilien in den Vordergrund gerückt. Dabei ist diese Zielgruppe viel zu klein und wird viel zu sehr in den Fokus gestellt."

Alpbek schlug vor, das Betreuungsgeld nur zweckgebunden an alle Familien auszuzahlen und ihnen nicht direkt zur Verfügung zu stellen, damit es auch nicht in die Haushaltskassen der Familien fließen könne. "Nur so kann sichergestellt werden, dass die Kinder vom Betreuungsgeld profitieren."

Hintergründe zur Diskussion über Kita-Ausbau und Betreuungsgeld unter www.abendblatt.de/betreuungsgeld

Mit Material von dpa