Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will mit der Reform der Versicherung vor allem den Altersverwirrten helfen

Berlin. Der Umbau der Pflegeversicherung sollte die bedeutendste Sozialreform dieser Legislaturperiode werden. Und FDP-Chef Philipp Rösler erklärte 2011 in seiner damaligen Rolle als Gesundheitsminister sogar zum "Jahr der Pflege". Mit einiger Verspätung holte sich gestern sein Nachfolger im Ministerium und Parteifreund Daniel Bahr für das sogenannte Pflegeneuausrichtungsgesetz den Segen des Kabinetts - von einem Großprojekt aber spricht mittlerweile niemand mehr.

Bahrs Gesetzentwurf sieht vor allem Verbesserungen für demenzkranke Menschen vor. Viele der rund 1,2 Millionen Altersverwirrten bekommen bisher keine Leistungen aus der Pflegekasse. Für sie wird die Pflegestufe null neu eingeführt, und sie erhalten ein Pflegegeld von 120 Euro im Monat, wenn sie durch Angehörige betreut werden, oder 225 Euro, falls sie ambulante Pflegedienste in Anspruch nehmen. Aufgestockt werden auch die Leistungen an die Demenzkranken, die bereits in der Pflegestufe eins sind: Sie bekommen künftig 665 Euro statt 450 Euro. In Pflegestufe zwei sind es 1250 statt 1100 Euro. Bei Pflege durch Angehörige steigen die Sätze gleichfalls: In der ersten Pflegestufe gibt es künftig 305 und in der zweiten Stufe 525 Euro im Monat.

Der Gesundheitsminister sagte, die Reform sei "konsequent auf die Bedürfnisse der an Demenz erkrankten Menschen" ausgerichtet. Denn bislang stünden noch immer die körperlichen Einschränkungen in der Pflegeversicherung im Vordergrund. Neben der Leistungsausweitung für die Altersverwirrten sehe die Reform auch mehr Wahlfreiheit für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige vor. So werden etwa künftig auch Wohngemeinschaften als eine zusätzliche Versorgungsalternative durch die Pflegeversicherung gefördert. Pflegebedürftige, die eine solche WG bilden, erhalten monatlich 200 Euro zur Beschäftigung einer Hilfskraft. Außerdem ist ein Gründungszuschuss von maximal 10 000 Euro je Wohngruppe vorgesehen.

Die Kosten für die neuen Leistungen veranschlagt das Ministerium auf rund 1,1 Milliarden Euro im Jahr. Zur Finanzierung wird der Beitragssatz vom kommendem Jahr an um 0,1 Prozentpunkte angehoben.

Allerdings steht die Pflegeversicherung angesichts der Alterung der Gesellschaft unter einem enormem Beitragsdruck. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte es deshalb "unverantwortlich, neue Leistungen der Pflegekassen einzuführen, wenn noch nicht einmal die Finanzierung des heutigen gesetzlichen Leistungskatalogs gesichert ist". Tatsächlich gesteht Bahr selbst ein, dass die Anhebung des Beitragssatzes die Zusatzleistungen nur bis Ende 2015 finanziert.

Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren hingegen, dass der Gesundheitsminister seine Reform nicht noch großzügiger gestaltet hat. Sie fordern, zunächst den Begriff der Pflegebedürftigkeit neu zu definieren, um eine Grundlage für alle weiteren Leistungen der Versicherung zu haben.

Laut Bahr ist die jetzige Reform als Vorgriff auf eine solche Neudefinition zu sehen. Die Situation der Demenzkranken müsse aber schnell verbessert werden. Bahr verwies darauf, dass er erneut ein Expertengremium eingerichtet habe, das noch in dieser Legislaturperiode eine Neudefinition des Pflegebegriffs erarbeiten soll. Ziel sei es, die Demenzkranken insgesamt stärker bei der Leistungsgewährung zu berücksichtigen.

Laut Bahr könne dies durchaus weitere Beitragssteigerungen nach sich ziehen. Wenn mehr Leistungen gewollt seien, werde dies mit der Beitragserhöhung 2013 "sicher nicht allein finanzierbar sein", sagte der FDP-Politiker.

Der Minister kündigte zudem an, dass die Regierung bald ein Gesetz zur Förderung der privaten Pflegevorsorge vorlegen werde. Anders als FDP und Union dies in ihrem Koalitionsvertrag einst angekündigt hatten, wird die kapitalgedeckte Zusatzvorsorge jedoch nicht verpflichtend sein.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte die Pläne für eine private Zusatzvorsorge. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach: "Geringverdienende, die meist das größere Pflegerisiko tragen, gehen leer aus."

Der Sozialverband VdK monierte, Bahrs Reform sei viel zu klein geraten. Zur Finanzierung zusätzlicher Leistungen müsse es einen "Solidarausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung" geben, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. "Die jährlichen Milliardenüberschüsse in der privaten Pflegeversicherung könnten zur Finanzierung von Leistungen für Demenzkranke verwendet werden." Auch die Grünen wollen neue Geldquellen für die gesetzliche Pflegeversicherung anzapfen. Sie wollen die Sozialversicherung auf alle Bürger ausweiten, also auch auf Beamte und Selbstständige.

Die SPD warb für ein Pflegegeld nach Vorbild des Elterngelds. Dafür solle der Pflegebeitrag um 0,6 Prozentpunkte steigen, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner an. Dadurch würden sich Mehreinnahmen in Höhe von etwa sechs Milliarden Euro im Jahr ergeben. Das Geld sollte genutzt werden, um die Pflegeversicherung auf die Herausforderungen des demografischen Wandels vorzubereiten, sagte Ferner.