Rettungsschirme EFSF und ESM sollen ein Jahr parallel laufen. Der OECD ist dies noch zu wenig: Sie verlangt eine Stärkung der Euro-Abwehr auf eine Billion Euro

Berlin. Für die Bundesregierung hat offenbar die Stunde der europäischen Wahrheiten geschlagen. Bei den großen Streitthemen Aufstockung der europäischen "Brandmauern" gegen die Schuldenkrise und Einführung der Finanztransaktionssteuer tut sie nun das, was Vertraute der Bundeskanzlerin schon lange von ihr erwartet hatten. Zunächst bekannte Angela Merkel (CDU) sich erstmals offen zu einem Modell, mit dem das Ausleihvolumen der europäischen Rettungsschirme vorübergehend auf mehr als 700 Milliarden Euro anwachsen kann und das auch die Haftung für Deutschland erhöht. Kurz darauf erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ohne alle Umschweife zur Finanztransaktionssteuer: "Die kriegen wir nicht hin." Das gelte sowohl im europäischen Rahmen wie für den verkleinerten Kreis der Euro-Länder.

Wochenlang hatte sich die Bundesregierung bei beiden Themen um klare Aussagen herumgedrückt. Denn in beiden Fällen werden in der innenpolitischen Diskussion und in der Debatte mit internationalen Partnern hochsensible Saiten angeschlagen. Doch das bevorstehende Euro-Finanzministertreffen in Kopenhagen erhöhte den Entscheidungsdruck. Deutschland muss dort zu den Rettungsschirmen Farbe bekennen. Davon hängt ab, ob es drei Wochen später beim Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) auch zusätzliche internationale Hilfe zur Krisenbekämpfung in Europa gibt. Ursprünglich wollte die Bundesregierung das Ausleihvolumen derRettungsschirme EFSF und ESM beieiner gemeinsamen Obergrenze von 500 Milliarden Euro halten. Allerdings drängten seit Monaten nahezu alle Partnerländer in und außerhalb Europas die Deutschen, eine Erhöhung zuzulassen, um auch bei größeren Krisenfällen gewappnet zu sein. "Deutschland stand ehrlich gesagt ganz allein", sagte jüngst ein Teilnehmer eines G20-Finanzministertreffens in Mexiko-Stadt.

Die Lösung des Problems, wie sie Merkel anstrebt, liegt in dem Begriff "zeitweise". EFSF und EMS sollen nun über ein Jahr lang parallel geführt werden, sodass immer 500 Milliarden Euro für Hilfen an Krisenländer zur Verfügung stehen. Das aber bedeutet, das Ausleihvolumen könnte bis an die 750 Milliarden Euro steigen. Und die deutsche Haftungsobergrenze könnte, sofern die Fonds gefordert werden, zeitweise über die fixierten 211 Milliarden Euro steigen. Druck bekam die Bundesregierung trotz dieser Lösungsideevonseiten der OECD. Sie verlangt eine Stärkung der Euro-Abwehr auf mindestens eine Billion Euro. "Die Zusagen für die Fonds reichen nicht aus, um das Marktvertrauen zurückzugewinnen", sagte der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Angel Gurría. Nur eine glaubwürdige Brandmauer werde den Regierungen Luft zu einer Ankurbelung ihres Wachstums verschaffen.

Nach der OECD-Analyse greift das Angebot Merkels, die Fonds auf insgesamt 700 Milliarden Euro zu ergänzen, zu kurz. Denn um den Markt zu beruhigen, müssten EFSF und ESM die möglichen Finanzierungslücken von verwundbaren Euro-Ländern stopfen können. Gurrías Experten schätzen den Refinanzierungsbedarf auf "mehr als eine Billion Euro über die kommenden zwei Jahre". Dabei geht es vor allem umItalien und Spanien.

Unterdessen haben Koalition und Opposition sich nach langem Ringen auf einen Kompromiss zur Beteiligung des Bundestages an Euro-Rettungshilfen verständigt. Nach einem gemeinsamen Gesetzentwurf von Union, FDP, SPD und Grünen soll grundsätzlich das gesamte Plenum entscheiden. Dies betrifft entgegen ersten Plänen auch eilige Fälle. Nur bei besonders vertraulichen Maßnahmen wie dem Kauf von Staatsanleihen auf dem sogenannten Sekundärmarkt soll ein kleines, geheim zu wählendes Sondergremium die Parlamentsrechte wahrnehmen. Bedenken des Bundesverfassungsgerichts wurden so ausgeräumt. Hintergrund ist ein Urteil zur Kontrolle des befristeten Rettungsschirms EFSF. Das geheim tagende, bisher neunköpfige Gremium für eilbedürftige Entscheidungen verstößt aus Karlsruher Sicht gegen Beteiligungsrechte der Abgeordneten.