Der FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister über die Schicksalswahlen für seine Partei und seinen Frust über den Koalitionspartner Union.

Berlin. Die FDP hat es im Moment nicht leicht. Drei vorgezogene Landtagswahlen stehen vor der Tür, im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen - und in allen drei Fällen drohen die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Parteichef Philipp Rösler hat in diesen Wochen entsprechend viel um die Ohren. Neben seiner Aufgabe als Bundeswirtschaftsminister muss er auch noch Wahlkampftermine in den drei Ländern absolvieren.

+++Rösler hält Stempelsteuer für konsensfähig+++

Erschwerend kommt der Dauerzwist mit der Union hinzu. Streitthemen wie Vorratsdatenspeicherung, die Frauenquote oder der Mindestlohn müssen in den verbleibenden Monaten bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2013 gelöst werden. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt erklärt der Vizekanzler, warum er trotzdem zuversichtlich ist - und warum der Koalitionspartner und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiterhin mit einer bissigen FDP rechnen müssen.

Hamburger Abendblatt: Herr Minister, haben Sie manchmal Albträume?

Philipp Rösler: Nein.

Also haben Sie noch nicht von den Wahlausgängen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen geträumt?

Rösler: Wir bekommen dort eine große Chance für die FDP. Wir haben es in Nordrhein-Westfalen mit den Herren Röttgen und Laumann zu tun, die für den Linkskurs der CDU stehen. Da bleibt viel Platz für die Mitte und damit für die Liberalen. Im Saarland träumt die CDU von Platz zwei, und in Kiel wirkt sie ausgesprochen blass. Das macht sie wenig attraktiv für die Mitte und ist damit direkte Wahlkampfhilfe für die FDP.

Die FDP droht dennoch aus allen drei Landtagen zu fliegen.

Rösler: Wir kämpfen dafür, dass die Mitte in den Parlamenten vertreten bleibt. Umfragen sind Training, die Wahlen sind der entscheidende Wettbewerb. Wir haben mit Oliver Luksic und Christian Lindner hervorragende und sehr zugkräftige Spitzenkandidaten und genauso mit Wolfgang Kubicki den besten Wahlkämpfer, den man sich in Schleswig-Holstein vorstellen kann. Er ist dort der einzige Spitzenkandidat, der bundesweit bekannt ist.

Aber Herr Rösler, Wolfgang Kubicki ist doch bundesweit so bekannt, weil er immer wieder die Bundespartei attackiert.

Rösler: Er hat ja oft auch richtig gelegen mit seinen Weckrufen. Wolfgang Kubicki und ich hatten und haben viele gemeinsame Ansätze, sei es bei der Finanzmarktregulierung oder bei der Wahrung der Eigenständigkeit der FDP. Wir haben auch die Überzeugung geteilt, dass wir alles dafür einsetzen sollten, dass Joachim Gauck Bundespräsident wird.

Ist Kubicki ein Hoffnungsträger der FDP?

Rösler: Alle drei Landtagswahlen sind eine starke Hoffnung für die Liberalen. Wir arbeiten jetzt den klaren Unterschied zwischen uns und den beiden sozialdemokratischen Parteien CDU und SPD heraus. Wir stellen uns diesem immer dickeren Einheitsbrei entgegen. Wir sind nun die einzige Partei, die auf freiheitliche Grundwerte, auf Eigenverantwortung setzt. Bei der Union gibt es keine liberale Strömung mehr - worauf sie früher immer so stolz war. Das macht ja auch Koalitionsentscheidungen oft so mühsam.

Ihr ehemaliger Generalsekretär und NRW-Spitzenkandidat Christian Lindner hat sich klar entschieden, nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu bleiben. Sollte sich CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen nicht ein Beispiel daran nehmen?

Rösler: Die Union muss ihre Entscheidung selbst treffen. Wir haben mit Christian Lindner einen Spitzenmann, der Politik für sein Bundesland machen will, und zwar im Düsseldorfer Landtag. Auch das ist ein konsequenter Schritt und unterstreicht die Glaubwürdigkeit von ihm und den Liberalen.

Ministerämter scheinen offenbar sehr schön zu sein. Können Sie Röttgens Zaudern verstehen?

Rösler: Das Amt des Ministerpräsidenten ist ebenso wie das eines Oppositionsführers keine Strafe. Es geht darum, ob man sich ganz in Verantwortung nehmen lässt oder nur halb. Aber das muss die Union für sich entscheiden.

Mit wem soll die FDP koalieren, wenn Sie es in die Landtage von Düsseldorf und Kiel schafft?

Rösler: Wie immer fällt eine derartige Entscheidung vor Ort, selbstständig durch den jeweiligen Landesverband.

Wir hatten jetzt ein flammendes Bekenntnis zur Union erwartet.

Rösler: Ich leiste gern ein flammendes Bekenntnis zum Föderalismus und zur Autonomie der Länder. Ich war selber lange Zeit Landesvorsitzender in Niedersachsen und Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2008. Da hat mir auch keiner Empfehlungen geben müssen.

Sie müssen ja keine Empfehlungen aussprechen. Aber halten Sie eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und der FDP auf Länderebene für denkbar?

Rösler: Es ehrt Sie, dass Sie es auf diesem Wege noch einmal versuchen. Aber es bleibt dabei: Das entscheiden die Landesverbände selbst.

Gibt es in der Welt der Liberalen noch so etwas wie Wunschpartner?

Rösler: Versuch Nummer drei. Wir sind hier in Berlin in einer - alleine was die messbaren Ergebnisse anlangt - durchaus erfolgreich arbeitenden Koalition. Und die Länder entscheiden so, wie sie es für richtig halten.

Sollte die FDP 2013 mit einer Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf ziehen?

Rösler: Das werden wir 2013 entscheiden.

Hat die FDP zu lange auf Kompromiss mit der Union gesetzt und zu wenig auf klare Kante?

Rösler: Ein Reihe von Aufgaben haben wir gut gemeinsam gemeistert. Mitunter gerade auch dadurch, dass wir eben klare Kante gezeigt haben, zum Beispiel bei den Bürgerrechten oder bei den Euro-Bonds. Ohne die klare Haltung der FDP hätten wir längst diese Vergemeinschaftung von Schulden. Man sollte den Einfluss und die Hartnäckigkeit der FDP nicht unterschätzen.

Die nächste Belastungsprobe für die Koalition ist die Vorratsdatenspeicherung. Brüssel setzt Sie gehörig unter Druck. Wird sich die Union auf den FDP-Vorschlag des Quick-Freeze-Verfahrens, also der anlassbezogenen Datenspeicherung, einlassen?

Rösler: Die zuständige Justizministerin hat einen tragfähigen Vorschlag mit dem Quick-Freeze-Modell gemacht. Und wir wollen darüber die Lösung finden. Die Vorratsdatenspeicherung ist vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Eine anlasslose Speicherung von Daten würde bedeuten, dass der Staat pauschal seine Bürger verdächtigt, sie könnten irgendwann einmal Straftäter werden. Nur deshalb Daten zu speichern wäre falsch.

Und die FDP ist hier nicht gesprächsbereit?

Rösler: Wir erwarten, dass die Union jetzt ihren Widerstand gegen das konstruktive Quick-Freeze-Modell aufgibt. Wir finden damit die richtige Balance zwischen der Wahrung der Bürgerrechte und den notwendigen Instrumenten für die Sicherheitsbehörden. Wir können gern über Details fachlich diskutieren, auf Grundlage unseres Modells.

Wie schnell werden Sie sich einigen können?

Rösler: Der Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch. Die Union ist am Zug. Jetzt liegt es an ihr, wie schnell der Entwurf in die Ressortabstimmung geht.

Die Union arbeitet seit einiger Zeit daran, eine Mindestlohn-Regelung auf den Weg zu bringen. Freuen Sie sich schon darauf?

Rösler: Wir sind 60 Jahre lang sehr gut mit der sozialen Marktwirtschaft gefahren. Das zeigen nicht zuletzt unsere hervorragenden Arbeitsmarktdaten. Wir haben momentan die höchste Beschäftigungszahl in der Geschichte unseres Landes. Es gibt eine klare Aufgabenteilung in Deutschland, und die Aufgabe der Lohnfindung ist Sache der Tarifpartner. Das soll auch so bleiben. Deswegen wollen wir keinen flächendeckenden, einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Die Union darf gern ihre Modelle entwickeln. Aber für einen Koalitionsbeschluss zu einem solchen Mindestlohn stehen wir nicht zur Verfügung.

Ein Kompromiss könnte eine Lohnfindungskommission nach britischem Vorbild sein.

Rösler: Es gibt längst eine Mindestlohnkommission. Vorsitzender dieser Kommission, die 2009 einmal getagt hat, ist Klaus von Dohnanyi. Wir haben also längst die Instrumente, um uns bei Bedarf mit diesen Fragen zu beschäftigen.

Werden wir bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 die Abschaffung der Praxisgebühr erleben?

Rösler: Die große Mehrheit der Bürger will die Praxisgebühr nicht mehr. In meiner Anfangszeit als Gesundheitsminister hatten wir ein Defizit im Gesundheitsfonds, das wir beseitigen konnten. Jetzt haben wir einen Überschuss, den wir den Versicherten zurückgeben müssen. Dies wäre auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung im Gesundheitswesen.

Die Argumente zwischen CDU, CSU und FDP sind ausgetauscht. Wie wollen Sie jetzt noch aus der Sackgasse herauskommen?

Rösler: Wir leben in einer Demokratie, in der wir die Stimmung der Bevölkerung bei der Praxisgebühr stark spüren. Mit einer Basta-Politik kann man meiner Ansicht nach komplexe Fragen nicht klären. Wir werden weiter das Gespräch mit allen Beteiligten führen.