500 Milliarden: Euro-Länder einigen sich auf Vertrag für Rettungsschirm ESM

Berlin. Wenige Tage vor dem nächsten EU-Gipfel wächst der Druck auf Deutschland, mehr Geld für die Euro-Rettung bereitzustellen. So setzt Italiens Regierungschef Mario Monti sich für eine Verdoppelung des permanenten Rettungsschirms ESM auf eine Billion Euro ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnte dies gestern ab. Merkel erklärte, für sie habe es Vorrang, die Verhandlungen abzuschließen und den ESM schnellstmöglich in Kraft zu setzen. Und in der Tat: Die Euro-Länder wagen den nächsten Schritt aus der Schuldenkrise. Gestern am späten Abend einigten sich die Finanzminister des Euro-Gebiets in Brüssel nach langer Debatte auf den künftigen Krisenfonds ESM. Der ständige Rettungsschirm wird mit 500 Milliarden Euro ausgestattet und tritt am 1. Juli - ein Jahr früher als geplant - in Kraft. Das gab Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker am frühen Dienstagmorgen in Brüssel bekannt. Im März wollen die EU-Staats- und Regierungschefs prüfen, ob die ESM-Obergrenze reicht. Dieser Kontrolltermin war schon im vergangenen Jahr beschlossen worden. Der ESM löst den im Sommer auslaufenden Hilfsfonds für klamme Euro-Staaten (EFSF) ab. Als wichtige Neuerung wird er über ein Barkapital von 80 Milliarden Euro verfügen und damit unabhängiger von Bewertungen der Rating-Agenturen werden.

Deutschland schultert mit 27,15 Prozent den größten Anteil: Knapp 22 Milliarden Euro Barkapital und 168 Milliarden Euro an abrufbarem Kapital. Monti und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, fordern noch eine deutlichere Ausweitung des ESM. "Wir brauchen eine größere Brandschutzmauer" für Italien und Spanien, damit diese Länder wegen "abnormaler" Zinskosten nicht in eine Solvenzkrise abrutschten, sagte Lagarde in Berlin. Der ESM sollte um jene Mittel vergrößert werden, die bereits für den temporären Schirm EFSF festgelegt seien, was nicht unbedingt eine Verdoppelung bedeute, sagte La-garde weiter. Das würde grob auf eine Größenordnung von rund 750 Milliarden Euro hinauslaufen. Die Welt erwarte von Deutschland heute die Übernahme einer Führungsrolle, fügte Lagarde hinzu, die sich am Vorabend mit Merkel beraten hatte.

Damit setzt sich in der Euro-Schuldenkrise die Debatte des vergangenen Jahres fast nahtlos fort: Obwohl die Risikoaufschläge bei Anleiheemissionen der südlichen Euro-Staaten in den ersten Wochen gesunken sind, wird in der EU weiter ein Grundsatzstreit geführt. Vereinfacht gesagt geht es beim Weg aus der Schuldenkrise um die Frage: Mehr Geld oder mehr Reformen?

Monti hatte mehrfach gefordert, Deutschland müsse einen Beitrag dazu leisten, dass die Zinsen für sein Land sinken - ohne zunächst präziser zu werden. Dann sickerte am Wochenende seine Forderung nach Verdoppelung des ESM durch. Wenn die Bundesregierung schon den Einsatz der Europäischen Zentralbank (EZB) als Gelddruckmaschine ablehne, schaffe zumindest dies an den Finanzmärkten wieder Vertrauen, dass Italiens Kredite sicher sind, so das Kalkül. Zudem argumentiert Monti, dass Italien für seine Sparanstrengungen belohnt werden müsse - und Deutschland mit seinen sinkenden Finanzierungskosten mehr Solidarität zeigen müsse. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), der Italiener Mario Draghi, unterstützt Montis Vorstoß. Doch in Berlin lösen solche Vorschläge eine Mischung aus höflicher Ablehnung und Kopfschütteln hinter den Kulissen aus. "Die Botschaft der Rating-Agenturen wurde nicht verstanden", heißt es. Standard & Poor's habe viele Staaten, die zuvor die höchste Bonitätsnote hatten, gerade deshalb heruntergestuft, weil sie bereits jetzt zu große Risiken für Kredite an die Euro-Südschiene übernommen hätten. Würden Staaten mit Spitzenbonität wie Deutschland jetzt noch mehr Lasten übernehmen, wäre das nicht nur innenpolitisch schwer durchzusetzen - es würde ausgerechnet die starken Euro-Länder schwächen, wird argumentiert.

Unterdessen erhöhen die Euro-Staaten den Druck auf das pleitebedrohte Griechenland. Mehrere Finanzminister, vor allem aus nördlichen Mitgliedstaaten, forderten ihren Athener Amtskollegen Evangelos Venizelos auf, Versprechen für Reformen nun einzulösen. In Griechenland ist die Lage besonders dramatisch, da die Verhandlungen über einen teilweisen Schuldenerlass immer noch nicht beendet sind. Am Rande der Sitzung wurde aber deutlich, dass viele Ressortchefs mit einer baldigen Einigung im Athener Bankenpoker rechnen. EU-Währungskommissar Olli Rehn machte deutlich, dass es für Griechenland nicht mehr Geld geben werde als bisher geplant. Im Oktober 2011 hatten die Euro-Staaten ein neues Hilfspaket von 100 Milliarden Euro für Athen beschlossen. Dazu kommen noch zusätzliche öffentliche Garantien von 30 Milliarden Euro für den Schuldenschnitt. In trockenen Tüchern ist das Paket allerdings immer noch nicht.

Das Problem für die Kanzlerin: Das ESM-Gesetz muss in den Bundestag. Dort haben viele Abgeordnete der Regierungsfraktionen schon mit der bisher geplanten deutschen ESM-Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro ein Problem. Kämen die EFSF-Milliarden und die Kreditgarantien aus dem ersten Griechenland-Hilfspaket dazu, könnte die deutsche Gesamthaftung schnell über 400 Milliarden Euro hochschießen - eine Zahl, die viele Abgeordnete nachdenklich werden lässt.