Am 20. Januar jährt sich die Wannseekonferenz zum 70. Mal. Hohe Nazi-Funktionäre organisierten in einer Villa die “Endlösung der Judenfrage“.

Berlin. Zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ hatte SS-General Reinhard Heydrich für den 20. Januar 1942 in eine Villa am Großen Wannsee in Berlin geladen. Punkt 12.00 Uhr versammelten sich 15 hohe Funktionäre des Nazi-Regimes um den Chef des Reichsicherheitshauptamtes. Die eigentliche Tagesordnung lautete: die Ermordung möglichst aller in Europa lebenden Juden zu organisieren.

Die anwesenden Funktionsträger bekamen die Aufgabe zugewiesen, die schon im Sommer 1941 gefällte Entscheidung über die „Endlösung der Judenfrage“ generalstabsmäßig zu organisieren. Dem „arischen Herrenmenschen“ sollte das Terrain für die „Weltherrschaft“ freigeräumt werden. Das große Morden war allerdings schon in vollem Gange. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen 1939 und dem Überfall auf die Sowjetunion 1941, dem – wie Hitler sich ausdrückte - „Weltanschauungskrieg“ gegen das „jüdisch-bolschewistische Untermenschentum“, hatten SS-Einsatzgruppen bereits in großem Stil begonnen, polnische, baltische, ukrainische und russische Juden abzuschlachten. Vernichtungslager, Gaskammern und Krematorien waren im Bau und in der Erprobung, um die Massenerschießungen durch das Töten der Opfer mittels Giftgas zu ersetzen. Das KZ Auschwitz sollte zu einem Synonym für ein gigantisches System von Menschenvernichtungsfabriken werden.

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So ging es in der Debatte der Wannseekonferenz nur noch um die Logistik des Massenmords, um zeitliche und regionale Präferenzen und um die Frage, wer alles als Jude in das Mordprogramm einzubeziehen sei, wie der Berliner Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz feststellte. Die Debatte, schrieb er, „zeigte die Entschlossenheit des NS-Regimes, planmäßig und kaltblütig, bürokratisch und berechnend alle Juden, derer man habhaft werden konnte, zu ermorden. Zunächst ging es, wie Heydrich ausführte, um elf Millionen Juden in ganz Europa, die ausgerottet werden sollten“. Die Nazi-Diktatur in Deutschland geriet so zu einer unverwechselbaren und mit anderen Zwangssystemen und Ordnungen unvergleichbaren Gewaltherrschaft. „Der Völkermord“, schrieb Benz, „ausgeführt von pflichtbewussten Dienern des Dritten Reiches im stillschweigenden Mitwissen der Unbeteiligten, war einzigartig wegen seiner kaltblütigen Planung und Durchführung als Akt vermeintlicher Staatsräson.“

Als Leiter für die organisatorisch-technische Umsetzung des Holocaust wurde auf der Wannseekonferenz Heydrichs „Judenreferent“, der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, bestimmt. Er führte während der Wannseekonferenz nicht nur das Protokoll, sondern erwies sich dann auch als pflichtgetreuer und effizienter Organisator der „Endlösung der Judenfrage“. Als er zwei Jahrzehnte später in Jerusalem vor Gericht stand, rühmte Eichmann die überaus positive Reaktion jener 15 Männer der Wannseekonferenz auf das ihnen zugewiesene Mordhandwerk. Neben den Vertretern der NSDAP und der SS waren dies die Abgesandten der wichtigsten Ministerien der Reichsregierung, darunter auch des Auswärtigen Amtes, dessen aktive Beteiligung an der Judenvernichtung noch jahrzehntelang zu den Tabuthemen bundesrepublikanischer Vergangenheitsbewältigung gehörte. „Hier war nicht nur eine freudige Zustimmung allseits festzustellen“, meinte Eichmann, kurz bevor er 1962 den Gang zum Galgen antrat, „sondern darüber hinaus ein gänzlich Unerwartetes, ich möchte sagen ein Übertreffendes und Überbietendes im Hinblick auf die Forderung zur Endlösung der Judenfrage.“

Die wichtigsten Teilnehmer der Wannseekonferenz

An der Wannseekonferenz nahmen insgesamt 15 Spitzenbeamte der NS-Ministerien und der SS teil. Eine Übersicht mit den wichtigsten Begriffen und Namen aus dem Umfeld der Konferenz:

Eichmann, Adolf (1906-1962): Geboren in Solingen, zog er als Kind mit seiner Familie nach Linz in Österreich. Von Beruf war er Handelsvertreter und trat 1932 der österreichischen NSDAP bei. 1934 kam er nach Berlin in ein Juden-Referat des Sicherheitsdienstes, 1938 wurde er Chef der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien. Über Prag kam er 1939 als Leiter des Judenreferats ins Reichssicherheitshauptamt und organisierte die Transporte in die Vernichtungslager. Er war Protokollführer bei der Wannseekonferenz. Nach dem Krieg floh Eichmann nach Argentinien, wo ihn der israelische Geheimdienst 1960 aufspürte und nach Israel entführte. Dort wurde er am 15. Dezember 1961 vor Gericht gestellt und unter anderem wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk zum Tode verurteilt. Am 1. Juni 1962 wurde Eichmann hingerichtet.

Heydrich, Reinhard (1904-1942): Geboren in Halle, trat er 1931 in die NSDAP und die SS ein. Im Juli 1932 beauftragte ihn SS-Führer Heinrich Himmler mit dem Aufbau des Sicherheitsdienstes zur Beobachtung politischer Gegner. Im Juni 1936 wurde Heydrich Chef der Sicherheitspolizei, im Oktober 1939 Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Ende Juli 1941 erhielt er den Auftrag zur Vorbereitung einer „Gesamtlösung der Judenfrage“. Auf der Wannseekonferenz hielt er ein Referat über die Gesamtplanung des Massenmords an elf Millionen Juden durch ihre Deportation „nach dem Osten“. Zugleich bat er um „entsprechende Unterstützung“ durch die auf der Konferenz vertretenen Ministerien. Am 4. Juni 1942 starb Heydrich an den Folgen eines Attentats tschechoslowakischer Widerstandskämpfer.

Himmler, Heinrich (1900-1945): Trat 1925 der NSDAP bei. Als Chef der deutschen Polizei ab 1936 und SS-Reichsführer baute er die Konzentrationslager zu einem Terrorinstrument der Nazis aus. Im Zweiten Weltkrieg stieg seine Machtfülle weiter mit der Ernennung zum Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, Reichsinnenminister und Befehlshaber des Heimatheeres. Himmler hatte die Ausdehnung der Konzentrationslager auf die besetzten Gebiete zu verantworten und wurde der entscheidende Organisator des Genozids an den Juden. In der letzten Kriegsphase organisierte Himmler den Volkssturm. Wegen seiner Versuche, Kontakte mit den westlichen Alliierten zu gewinnen, enthob ihn Adolf Hitler im April 1945 aus allen Ämtern. Himmler beging Selbstmord, nachdem seine Identität in einem Gefangenenlager bei Lüneburg festgestellt worden war.

Reichssicherheitshauptamt (RSHA): Eine im September 1939 errichtete Behörde, die verschiedene Dienststellen des Staates (wie die Geheime Staatspolizei und Sicherheitspolizei) sowie der NSDAP (vor allem der SS) zusammenfasste. Sie wurde von Reinhard Heydrich (1939-1942) und Ernst Kaltenbrunner (1943-1945) geleitet. Das RSHA wurde zu einem Unterdrückungsinstrument des nationalsozialistischen Staates. Ein Referat leitete die Vernichtungsaktion gegen die Juden.

SS (Schutzstaffel): Kampfverband der NSDAP, der nach der Machtübernahme in enger Verbindung mit der staatlichen Polizei zu einer mächtigen und gefürchteten Gruppe wurde. Der hoch ideologisierte Verband war für zahlreiche rassistisch begründete Terroraktionen verantwortlich. Aus ihm ging der Sicherheitsdienst (SD) hervor, der als politische Überwachungsorganisation den Partei- und Staatsapparat durchsetzte. Die SS organisierte den systematischen Völkermord in Osteuropa.